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Der Produktionsprozess
eines Medizinprodukts ist aufwendig: Hier die fertig umspritzten Kabel eines
EKG-Kabelsystems, das mit unterschiedlichen Werkzeugen in mehreren einzelnen Etappen gefertigt wird. (Bild: alle Nicolay)

Im Idealfall werden Material-Experten schon sehr früh in die Entwicklung eines Medizinprodukts und seiner Komponenten mit einbezogen. Dann können sie die geforderten Eigenschaften mitdenken und am Ende eine Lösung entwickeln, die diese erfüllt. Dass dabei alle regulatorischen Bestimmungen des Medizinproduktegesetzes eingehalten sein müssen, ist selbstverständlich. Eine gute und umfassende Beratung geht darüber allerdings weit hinaus. Die Anforderungen des Kunststoffverarbeiters müssen ausführlich und präzise abgefragt werden: Welche Farbe soll das Produkt haben, wie wird es bedruckt? Kommt das Produkt im Zusammenhang mit hohen elektrischen Frequenzen oder Spannungen zum Einsatz? Diese und viele weitere Faktoren werden in die Planung miteinbezogen und die verwendeten Werkstoffe darauf abgestimmt. Potenzielle Schwierigkeiten sind mit genügend Erfahrung oft vorhersehbar – und lassen sich genau deshalb vermeiden.
Gerade das Anwendungsumfeld kann immense Unterschiede ausmachen, die für die Entwicklung eines Medizinprodukts Konsequenzen haben. Soll es beispielsweise dicht sein im Sinne von Schutz gegen Spritzwasser oder Untertauchen? Je höher die Schutzklasse, desto zuverlässiger müssen sich die verwendeten Werkstoffe gegenseitig verbinden. Wie wird es gereinigt oder desinfiziert? Dabei passieren häufig Fehler, weil nicht jedes Material jedes Reinigungsmittel verträgt. Wenn mit unverträglichen Mitteln desinfiziert wird, kann es zum Beispiel bei Polycarbonat – eigentlich ein vielseitig geeigneter Werkstoff – zu Spannungsrissen kommen.
Auch in Hinblick auf die Biokompatibilität müssen im Vorfeld Fragen gestellt werden: Zwischen kompatibel „mit gesunder Haut“ oder „mit Hämoglobin“ liegen Welten. Mit etwas Fantasie lassen sich viele Szenarien entwickeln, die jedes chirurgische Instrument unnötigerweise auf das Anforderungsniveau eines Dialysegeräts heben. Um nicht über das Ziel hinauszuschießen, beinhaltet gute Beratung auch ein solides Risikomanagement aufzusetzen und den Prozess realistisch beratend zu begleiten. Langjähriges Erfahrungswissen geht dabei meist auch mit einem mit den Jahren gewachsenen großen Angebot an bereits qualifizierten Materialien einher, was dem Auftraggeber Kosten spart.

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Werkstoffkombination für EKG-Kabelsystem

Eine besondere Herausforderung ist die Kombination von weichen und harten Kunststoffen in einem Produkt. Zum Beispiel beim EKG-Kabelsystem 2000: Auf der Leadset-Seite besteht die Umspritzung des Steckers ebenso wie der Mantel der Leitungen aus einem weichen Kunststoff, verbindet aber dicht vernetzt mit dem harten Material des Kontaktträgers. Die weich-weich-harte Werkstoffkombination ist stoffschlüssig verbunden, sodass keinerlei Spalte existieren, in die Feuchtigkeit oder Schmutz eindringen könnte. Die Anwendungs-situation setzt das voraus: Das Kabelsystem ist für die häufigen Wiederaufbereitungszyklen im Krankenhaus-Bereich ausgelegt, wo teilweise andere Reinigungsmittel verwendet werden als etwa in einem Rettungswagen oder in einer Arztpraxis.
EKG-Geräte kommen auch in Notfallsituationen zum Einsatz. Wird ein Patient defibrilliert, muss das medizinische Personal vor den hohen Spannungen geschützt sein. Das muss von Anfang an mitberücksichtigt werden, stellt es doch hohe Anforderungen an die Kabel und elektrischen Verbinder in Bezug auf Spannungsfestigkeit und Kriechfestigkeit. Auch die Wandstärke der Kunststoff-Ummantelung muss entsprechend ausgelegt sein.
Ein Werkstoff, der sich gut verarbeiten lässt und eine hohe elektrische Sicherheit bietet, ist beispielsweise Polypropylen in Kombination mit Thermoplastischen Elastomeren (TPE). Etwas aushalten können muss ein EKG-Kabelsystem jedoch ganz grundsätzlich, denn falls es beim Rangieren mit dem Krankenbett unter die Räder gerät, sollte es nicht kaputtgehen. Deshalb bietet sich Polyurethan (PUR) als mechanisch sehr robuster Werkstoff an, der sich durch hohe Shore-Härten und große Kerbschlag- sowie Abriebfestigkeit auszeichnet.

PUR: Robust und flexibel, aber schwer zu verarbeiten

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Die weich-weich-harte Werkstoffkombination des EKG-Kabelsystems ist stoffschlüssig verbunden, sodass keine Spalte existieren. Die flachen, robusten Kontakte lassen sich gut reinigen und die bunten Punkte werden eingespritzt, damit die Farbe erhalten bleibt.

Allerdings ist PUR kaum dazu geeignet, um daraus flexible und dünnwandige Produkte herzustellen, was im Fall des aus mehreren Komponenten bestehenden EKG-Kabelsystems aber notwendig ist. Es soll robust und filigran zugleich sein. Außerdem haftet PUR stark an den Werkzeug-Oberflächen und hat ein spezielles Fließverhalten, wodurch es schwierig zu verarbeiten ist. Viele Hersteller verwenden aus diesem Grund lieber einfacher zu verarbeitende Werkstoffe, die allerdings weniger robust sind, oder sie setzen Kunststoffe mit Weichmachern ein. Diese Stoffe sorgen zwar für flexiblere Produkte, bringen aber den Nachteil mit sich, dass sie durch Reinigungsmittel mit der Zeit ausgewaschen werden. Dadurch gehen die positiven Eigenschaften verloren, das Produkt versprödet. Um ein EKG-Kabelsystem ohne Weichmacher auf PUR-Basis fertigen zu können, muss deshalb einiges zusammenkommen: Umfassende Werkstoff-Kenntnisse, entsprechende Prozesse und Technologien in der Fertigung und ein großes Verarbeitungs-Know-how.
Die geforderten Eigenschaften des EKG-Kabelsystems lassen sich mit herkömmlichen Mehrkomponenten-Spritzgussverfahren nicht erreichen. Stattdessen wird mit unterschiedlichen Werkzeugen und in Einlegetechnik in mehreren einzelnen Etappen gefertigt: Die Spritzguss-Formteile durchlaufen dabei mehrere Montageschritte. Die Spritzwerkzeuge verfügen über ein ausgetüfteltes, auf die PUR-Verarbeitung zugeschnittenes Design. Dafür sind große Angussquer- und -anschnitte nötig sowie entsprechende Formschrägen und eine gute Entlüftung. Eine spezielle Oberflächenbehandlung sorgt dafür, dass beim nächsten Arbeitsgang die Annetzung beziehungsweise ein Anbinden der Kunststoffe miteinander möglich wird. Die endgültige Weichumspritzung der Komponenten erfolgt meist erst am Ende der Fertigungskette. Zwischen der Herstellung des harten Spritzlings und der Verbindung mit den weicheren Materialien können zum Teil mehrere Wochen liegen, was wiederum hohe Anforderungen an die Werkstoffe und an die Prozessabläufe stellt. Denn die Materialvernetzung muss auch über den Zeitversatz hinweg funktionieren und die Oberflächen dürfen während der Lagerung nicht leiden.

Anwendungsorientiert und langlebig

Was dabei herauskommt, ist ein kompaktes, robustes und vollständig geschirmtes Kabelsystem, das einen hohen Anwenderkomfort bietet. Die Leadset-Seite besteht aus einer weich-weich-harten, stoffschlüssig miteinander verbundenen PUR-PUR-PUR-Kombination. Das Tüllendesign ist auf eine lange Lebensdauer ausgelegt. Es ist nicht zu hart, damit die Kabel am Tüllenende nicht abknicken, aber auch stabil und dicht, damit keine Reinigungsmittel eindringen. Die Schleifschirmkontakte wurden aus verschiedenen Gründen flach und abgerundet designt: Dadurch, dass sie kaum hervorstehen, werden Anwender beim Berühren geschützt und sie sind so stabil, dass sie auch auf den Boden fallen können, ohne dabei Schaden zu nehmen. Zudem lassen sich die flachen Kontaktflächen einfach mit einer kleinen Bürste reinigen. Die bunten Punkte auf dem Stecker beziehungsweise die Information, die diese Farben transportieren, sind sicherheitsrelevant. Deshalb werden sie nicht aufgedruckt, sondern eingespritzt, sodass die Farbe über die vielen Reinigungszyklen hinweg erhalten bleibt und nicht mit der Zeit verblasst oder abgewischt wird.

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