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Digitalisierung braucht Standard-Schnittstellen
Bilduelle: alle David Löh/Redaktion Plastverarbeiter

Darüber sprach der PLASTVERARBEITER mit Dr. Harald Weber, beim VDMA zuständig für die Schnittstellen-Standardisierung; mit Patrick Bruder, der bei dem Automatisierer B&R Global Technology Manager für die Kunststoffindustrie ist; sowie mit Sebastian Sachse, ebenfalls von B&R und dort zuständig für Technologiemarketing, was auch die Schnittstellen und Protokolle miteinbezieht. Im Interview kam auch der aktuelle Stand der verschiedenen Euromap-Schnittstellen zur Sprache sowie die Maschinen- und Gerätekategorien, für die als nächstes eine Standard-Schnittstelle entwickelt wird.

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Hinsichtlich Kunststoffmaschinen folgen auf die Spritzgießmaschinen gerade die Extruder, dann wahrscheinlich die Blasformmaschinen, meint Dr. Harald Weber (m.), zuständig für Technik und Innovation beim VDMA Fachverband Kunststoff- und Gummimaschinen. Links und rechts neben ihm: Sebastian Sachse und Patrick Bruder, beide B&R

KGK Warum wird eine einheitliche ­Datenschnittstelle benötigt?
Patrick Bruder, B&R Die Anforderung kommt von unseren Kunden, den Maschinenbauern. Die haben das Problem, dass sie mehrere Maschinen oder Maschinenteile zusammenschließen müssen. Und da hilft eine standardisierte Schnittstelle natürlich. Diese werden wahrscheinlich von ihren Kunden, also den Anwendern, dazu angehalten, da sie Schwierigkeiten damit haben, ein Dosiergerät sowohl bei Maschine A als auch bei Maschine B anzuschließen – und zwar unabhängig davon, welche Steuerung in der ­Maschine läuft.

KGK Aber was hat sich geändert? Früher haben die Kunststoffver­arbeiter doch auch einfach eine Anlage beim Maschinenbauer bestellt und Materialförderung oder Dosiergerät angeschlossen.
Sebastian Sachse, B&R Stimmt. Darum haben sie heute viele verschiedene Systemlösungen in ihren Werkhallen, die verschiedene Sprachen sprechen. In Zeiten der Digitalisierung reden wir aber davon, dass wir die Systeme alle miteinander nahtlos verbinden. Wenn Systeme aber alle eine unterschiedliche Sprache sprechen, ist das ein Problem. Deswegen versuchen wir gemeinsam mit VDMA und Euromap eine saubere Lösung zu finden, um diese Sprachen zu vereinheitlichen.

KGK Inwiefern nutzt diese weitere Vernetzung dem Verarbeiter?
Sachse Ich gebe mal ein konkretes Beispiel: Stellen Sie sich vor, wir haben eine riesige Produktionsstätte und eine einzige Maschine produziert eigentlich nur Ausschuss, und das bereits am Anfang des Produktionszyklus. Der Anwender merkt das allerdings erst bei der finalen Endkontrolle. Die entscheiden Frage für ihn ist dann: „Wie finde ich diese Maschine?“ Heute arbeitet er sich langsam von hinten nach vorne durch. Der produzierte Ausschuss, zum Beispiel ein iPhone-Gehäuse, ist allerdings unbrauchbar, wandert in die Tonne und damit sind sofort zwischen 600 und 700 EUR vernichtet. Wenn aber gleich am Anfang in der CNC-Fräse festgestellt werden kann, wo der Fehler passiert, weil zum Beispiel der Fräser zu tief geht und damit die Außenhülle beschädigt, dann werfe ich nur dieses kleine Stück Blech weg und entsorge das. Und das ist die Effizienzsteigerung, nach der jeder sucht. So etwas findet man nur mit einer vernetzten Anlage.

Dr. Harald Weber, VDMA Darin sind noch weitere Effizienz­potenziale versteckt. Etwa wenn die Maschinen noch mehr Daten austauschen, weil diese für die jeweilige Nachfolgeeinheit von Nutzen sind. Dann braucht diese nicht noch mal ihre eigenen Sensoren, sondern bekommt die Informationen beispielsweise darüber weiter­gereicht, wie stark der Trockner das Material schon vorgewärmt hat, wie der Feuchtigkeitsgehalt ist und so weiter. Dann kann sich vielleicht die Nachfolgemaschine drauf einstellen und Energie einsparen, indem sie dann optimal auf den Produktionsprozess eingestellt wird. Auch bei Wartungen lässt sich dadurch viel sparen: Wenn ein Trockner weiß, an der Spritzgießmaschine wird in einer halben Stunde das Werkzeug gewechselt, kann er sich darauf einstellen. Dann muss er nicht durchheizen, sondern fährt ein bisschen runter, schont dadurch das Material und fängt dann erst nach 20 Minuten wieder an aufzuheizen und ist dann auf den Punkt bereit.

KGK Welche Arbeit kommt da konkret für Sie als Automatisierer zu?
Sachse Wir müssen auf der einen Seite die technischen ­Ebenen miteinander kombinieren. Beispielsweise das TSN (Time Sensitive Networking, ein Unterprotokoll von OPC-UA, das es echtzeitfähig macht; Anm. d. Redaktion) müssen wir bei uns hardwareseitig mitdesignen. Das heißt, wir brauchen eine CPU mit einem Chip, der TSN spricht, damit wir die Informationsmodelle nutzen können. Dann müssen wir auf einer Embedded-Plattform den Stack implementieren. Softwareseitig müssen wir das Ganze zum Beispiel in den Engineering Tools verankern und auf dieser Ebene dann auch mit Euromap verbinden. Dann geht es mit der semantischen Beschreibung und darauffolgend mit allem anderen weiter. Das heißt, es sollte am Ende eine einfache Client-Server-Verbindung auf Steuerungsebene geben, wobei der Anwender am besten nur noch ein Häkchen setzt und dann funktioniert es. Das ist die Idealvorstellung.

KGK Warum ist es wichtig OPC-UA mit TSN zu kombinieren?
Sachse OPC-UA als solches kommt aus der IT-Welt und ist ein klassisches IT-Protokoll. Allerdings gehen Software-Systeme wie Microsoft Data Center von unendlich viel Rechenpower und unendlich viel Speicher aus. Denn die Mechanismen, um beides bei Bedarf zu erweitern, sind in der IT höchst flexibel. OPC-UA allerdings trifft an einer Industriemaschine auf völlig andere Voraussetzungen. Das funktioniert nur solange gut, wie man aus dieser IT-Welt auf die einzelne Maschine dezidiert zugreifen möchte. Wenn man aber von Maschine zu Maschine kommunizieren und prozess­kritische Daten austauschen will, dann wird diese Zeitkonstante benötigt, ein Determinismus. Wir müssen absolut sicher sein, dass das Signal von Maschine A exakt innerhalb von 10 Millisekunden bei Maschine B ankommt und nicht erst nach 20 Millisekunden.

KGK Ist es möglich, andere Maschinen und Geräte, die mit der Euromap-Schnittstelle nichts anfangen können, umzurüsten?
Bruder Wenn wir beim Beispiel Spritzgießmaschinen bleiben: Diese hatten schon relativ früh Euromap 63. Damit lassen sich vielleicht nicht ganz so viele Daten übertragen wie bei der neuen Euromap 77, aber das war ein sehr guter Anfang. Daher kann man dort ansetzen und überlegen, ob ein Um- oder Aufrüsten nötig ist. Falls ja, hat der Anwender die Möglichkeit, eine alte Steuerung zu ersetzen. Diese aber OPC-UA-fähig zu machen, wird wahrscheinlich etwas schwieriger. Stattdessen könnte man auch mit Gateways arbeiten, die die Euromap-77-Schnittstelle nach oben tragen. Das ist eine Frage des notwendigen Aufwands und ob sich dieser lohnt, aber davon einmal abgesehen, ist es möglich umzurüsten.

KGK Wenn jetzt die Spritzgießmaschinen-Hersteller eine Schnittstelle für ihre Maschinen erstellen, bilden sich doch wieder Insellösungen. Schließlich gibt es ja auch Extruder, Thermoformmaschinen, aber auch Werkzeugmaschinen etc., die sich zum Teil mit denselben Peripheriegeräten verbinden wollen. Was tun Sie, um das zu verhindern?
Bruder Nachdem es vorher gar nichts gab, fangen eben jetzt einzelne Industrien an, für sich eine Lösung zu schaffen. Ich gehe davon aus, dass sich hier in den kommenden zehn Jahren noch einiges tun wird. Meines Erachtens empfiehlt sich daher eher ein generischer Ansatz, bei dem man von einem Abbild einer Maschine mit den typischen Daten ausgeht, nach und nach Funktionen erweitert und sie so weiter aufbaut.

Weber Diese Entwicklungstendenzen bemerken auch wir im VDMA: Wir haben im Bereich Kunststoff- und Gummi­maschinen die Euromap 79 in Arbeit, die Schnittstelle zwischen Spritzgießmaschinen und Robotern. Der VDMA-Fachverband Robotik und Automation fängt nun aber auch an, Schnittstellen zu entwickeln. Die sagen natürlich, wir verbinden unsere Roboter nicht nur mit Spritzgießmaschinen, sondern auch mit Werkzeugmaschinen, Holzbearbeitungs­maschinen und was auch immer. Und dann sagen die Roboterhersteller natürlich zu Recht, dass sie nicht für jeden Maschinentyp ein eigenes Modell wollen. Das heißt, wenn eine Spritzgießmaschine mit einem Roboter zusammen­arbeitet, da geht es dann wirklich um Werkzeugposition, Kernposition, Auswerfer. Das ist dann wirklich sehr Spritzgießmaschinen-spezifisch. Deshalb wird dort natürlich dann auch das entsprechende Modell entwickelt. Was diese übergeordneten, generischen Sachen angeht, da haben wir auch erst mal einiges festgelegt, weil wir die ersten waren und nichts vorgefunden haben. Jetzt sind da aber die Roboterhersteller sehr aktiv. Da tauschen wir uns aus und schauen darauf, welche Ergebnisse sie erarbeiten und was wir davon nutzen können.

KGK Das führt zu meiner Frage zur Rolle von B&R in Bezug auf Entwicklung und Implementierung. Wo können Sie dahingehend Ihre Stärken ausspielen?
Bruder Wir haben schon früh die Euromap-Schnittstellen 27 und 63 unterstützt soweit sie für uns relevant waren. In diesen Fällen haben wir sie als Softwaremodule oder Libraries implementiert. Dass Euromap in Richtung OPC-UA geht, kommt uns sehr entgegen, da wir auf den Steuerungen schon seit langem OPC-UA haben. Dementsprechend sind wir hier schon weit in die Tiefe gegangen und sind jetzt dabei, die Echtzeitfähigkeit mit TSN reinzubringen. Auf diese Weise können wir unseren Kunden, also den Maschinenbauern, relativ früh die Sicherheit geben, dass sie auf die richtige Technologie setzen. Sobald dann die Euromap-Spezifikation final veröffentlich wird, werden wir auch dazu Lösungen für die Kunden anbieten, um ihnen die Umsetzung softwaretechnisch zu erleichtern.
Sachse Was unser Portfolio angeht, können wir Produkte anbieten, die einen OPC-UA-Server haben. Ein IO-Busknoten ist ein klassisches Beispiel dafür. Diesen kann der Anwender in seine Anlage integrieren, also die Sensorik anschließen, die er benötigt. So kann er mit einem Client auf dem Server auf das IO-Modul zugreifen.

KGK Wie ist der aktuelle Entwicklungsstand von Euromap 77 und wann können wir mit einer umfassenden Implementierung und Umsetzung von Euromap-Schnittstellen auf OPC-UA rechnen?
Weber Die Euromap 77-Schnittstelle hatten wir im Oktober letzten Jahres als ersten Release Candidate veröffentlicht. Es waren jetzt aber noch ein paar Anpassungen nötig, sodass es demnächst einen zweiten Release Candidate geben wird. Vor der endgültigen Freigabe ist es wichtig, dass die Schnittstelle prototypisch implementiert und getestet wird. Teilweise sind die Hersteller zwar schon dabei, die Anpassungen müssen aber entsprechend nachgezogen werden. Und das ist eben die Frage, wie lange es noch dauert, bis die Hersteller ihre Produkte durchgetestet und freigegeben haben.

KGK Und wenn die Spezifikation da ist, wann kann die Schnittstelle implementiert werden?
Bruder Wenn die Spezifikation Ende des Jahres freigegeben ist, ist es sofort möglich, das Ganze umzusetzen – auch weil wir OPC-UA schon auf unseren Steuerungen haben. Wir arbeiten darüber hinaus an einer Lösung, um den Maschinenherstellern die Umsetzung mit der Euromap-Empfehlung zu erleichtern.

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KGK Welche Gerätekategorien bekommen ihre Euromap-Schnittstelle nach den Spritzgießmaschinen und Robotern?
Weber Für Extruder fand die erste Sitzung Mitte Juni statt. Dabei ging es darum zu schauen, was denn der grundsätzliche Rahmen ist, in dem wir uns bewegen wollen. Ich meine, das fängt ja an vom reinen Extruder, also ein Zylinder mit Schnecke drin, bis dann zu kompletten Anlagen. Da werden wir jetzt nicht alles auf einmal angehen können, also wir kümmern uns jetzt erst mal um den Extruder, der im Zentrum steht, und welche Daten er rausgeben soll.
Was dann wahrscheinlich demnächst angegangen wird, das sind Blasformmaschinen. Aber da ist im Moment noch kein Termin festgelegt. Aber das wird natürlich auch dann in naher Zukunft mit angegangen werden. Auch um die Peripherie-Geräte werden wir uns demnächst kümmern. Aber das große Thema ist erst mal der Extruder als neuer, großer Block.

KGK Was sind denn die jüngsten, wesentlichen Fortschritte in Richtung Euromap 77?
Weber Also ich denke, das Wesentliche ist jetzt gerade der Aufbau einer übergeordneten Struktur. Wir machen jetzt nicht die Scheuklappen zu und sagen, wir kümmern uns nur um Spritzgießmaschinen und Leitrechner, und was links und rechts ist, interessiert uns nicht, sondern sagen, da ist doch sehr viel, was für andere Maschinenkombina­tionen wiederverwendet werden kann mit drin und wir lösen das raus. Wir müssen dadurch manche Sachen vielleicht ein bisschen allgemeiner formulieren, doch dann bleibt wirklich nur noch das, was speziell für den Anwendungsfall in der speziellen Euromap 77 ist, und alles andere sind übergeordnete Objekttypen, die dann an verschiedener Stelle einfach wiederverwertet werden können. Wenn man dann vielleicht mit Blasformmaschinen anfängt, wird man feststellen, ach, da gibt es ja jetzt schon sehr viele allgemeine Typen, die nehmen wir uns einfach. Jetzt schauen wir nur noch, was muss noch für die Blasformmaschinen dazu, wie unterscheiden sie sich von den Spritzgießmaschinen, und man muss nicht wieder bei Null anfangen.

KGK Steht OPC-UA irgendwann in Konkurrenz zu Powerlink?
Sachse Zunächst einmal ist das TSN-Protokoll noch in der Entwicklung. Das heißt, da gilt es erst mal bis Ende des Jahres abzuwarten, welche Performance damit erreicht werden kann. Allerdings wird es definitiv Überschneidungspunkte geben, bei denen sich die Performance von OPC-UA/TSN mit Powerlink oder vergleichbaren Protokollen ähneln. Und genau dort haben wir natürlich ein ganz großes Auge drauf. Stand heute ist, dass TSN nicht die Performance von einer Powerlink-Emotion-Anwendung erreicht.

KGK Gibt es zum Schluss noch einen Aspekt in dieser Thematik, den Sie noch gerne ansprechen wollen?
Sachse Abschließend kann gesagt werden, dass das Wichtigste die einheitliche Standardisierung ist. Im Jahr 2000/2001 gab es bereits den Ansatz dazu, damals war es Ethernet. Leider kamen dabei statt eines einheitlichen, kompatiblen Standards unzählige Protokolle heraus. Jetzt haben wir wieder die Möglichkeit, etwas einheitlich zu standardisieren. Diese Chance müssen wir nutzen. Unternehmen haben aber auch dazugelernt, deshalb sind wir optimistisch, dass es dieses Mal gelingt, einen einheitlichen Standard für IoT-Anwendungen zu schaffen.

Weber Aus unserer Sicht ist das Gute daran, dass wir uns im vorwettbewerblichen Umfeld bewegen. Also da kommen wirklich die Konkurrenten zusammen und entwickeln gemeinsam eine einheitliche Schnittstelle. Die wollen hier eben nicht alle Apples sein, die nur eigene Schnittstellen haben und wehe, jemand möchte das jetzt mit einem anderen System verbinden. Die Unternehmen sagen, das bringe ihnen nichts. Sie haben auch keine Befürchtungen, dadurch austauschbar zu werden. Schließlich unterscheiden sie sich ja trotzdem hinsichtlich Performance, Zykluszeiten, Genauigkeiten. All das wird ja in keinster Weise dadurch beeinflusst, dass die Daten standardisiert nach außen gegeben werden.

David Löh

Redakteur Plastverarbeiter und KGK

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