Wie schätzen Sie die derzeitige globale wirtschaftliche Situation der Branche ein und im speziellen für Ihr Unternehmen?
Dr. H.-Martin Issel: Die globale wirtschaftliche Situation wird geprägt von den Unsicherheiten, die von den globalen Krisen ausgehen. Diese treiben die Rohstoffkosten an, sie haben infolge der Zinserhöhungen zu geringeren Investitionen geführt und sie belasten das verarbeitende Gewerbe durch hohe Energie und Rohstoffkosten.
Die wirtschaftliche Situation ist von Nachfrageschwäche gekennzeichnet und die klassischen Großabnehmer der Gummiindustrie wie zum Beispiel Automobilbau und Maschinenbau verzeichnen derzeit eher eine schwache Nachfrage.
Die Situation ist und bleibt weiterhin schwierig. Positive Impulse werden jedoch von erwarteten Zinssenkungen, einem Rückgang der Inflation und mehr Wachstum in China und USA erwartet.
Wie attraktiv ist der Wirtschaftsstandort Deutschland für die Kautschukindustrie – noch?
Dr. Issel: Der Standort Deutschland ist für die Kautschukindustrie nach wie vor interessant durch einen großen Europäischen Binnenmarkt, starke Abnehmerindustrien, gut ausgebildete Fachkräfte und ein gutes Innovationsumfeld. Bremsend wirken sich jedoch überbordende Bürokratie, sehr hohe Kosten, unsichere Energiepreise und der Fachkräftemangel aus. Höhere Kosten als der internationale Wettbewerb können nur durch höhere Produktivität, überlegene Technologie und Qualität kompensiert werden. Deutsche Unternehmen sind gezwungen bei der Produktion eine Vielzahl von Regelungen zu beachten; die Herstellung importierter Billigwaren ist – bei Nichtbeachtung der erwähnten Vorschriften – zu wesentlich niedrigeren Kosten möglich. Hier besteht Handlungsbedarf. Aktuell fällt Deutschland im Ranking attraktiver Standorte zurück.
Die Politik könnte stärkere Akzente in allen Bereichen setzen und sollte besser erkennen, wo sie oder die EU durch ihr gesetzgeberisches Handeln innovationsfreudiges Unternehmertum bremst und Wachstum schwächt.
Vor dem Hintergrund des möglichen PFAS-Verbots: Wie bereiten Sie Ihr Unternehmen darauf vor?
Dr. Issel: Das Wichtigste vorweg, die Bundesregierung hat erkannt was für Deutschland und die EU auf dem Spiel steht und lehnt den Regulierungsvorschlag ab. Ein Polymerverbot ist wissenschaftlich wie auch wirtschaftlich unsinnig und auch nicht realistisch umsetzbar. Der Grund ist, dass ohne Fluorpolymere keine Industrie-, Konsum- oder Medizinprodukte herstellbar sind und auch Mobilität, egal mit welcher Technologie – Batterie, Brennstoffzelle, Verbrennungsmotor oder Turbine – ohne Fluorpolymere heutzutage nicht möglich ist.
Die Prozesse in der Chemischen Industrie müssen dennoch weiter verbessert werden und es wird durch die Industrie breit befürwortet, dass wasserlösliche, niedermolekulare, perfluorierte Substanzen, insbesondere wenn sie im Verdacht stehen, bioakkumulativ oder sogar schädlich zu sein, zeitnah eliminiert werden.
Überflüssige gefährliche Produkte wie perfluorierte Löschschäume oder Fluortelomere für Konsumartikel müssen konsequent vom Markt verschwinden.
Dies beinhaltet im Bezug auf Kautschuke beispielsweise, dass Fluorpolymere künftig ohne den Einsatz fluorierter Tenside produziert werden. Entsprechende Produktanpassungen sind bei nahezu allen Herstellern in Gang.
Wir gehen davon aus, dass die Echa anstelle des „PFAS broad restriction proposals“ neue Vorschläge zur Regulierung gefährlicher fluorierter Substanzen nach Maßgabe eines risikobasierten Ansatzes erarbeiten wird.
Was Sie über PFAS wissen müssen
Fluorpolymere und weitere fluorhaltige Substanzen sollen verboten werden. Eine ihrer herausragenden Eigenschaften – die Beständigkeit – könnte ihr Verbot bedeuten. Für Sie haben wir das Thema PFAS aus verschiedenen Blickwinkeln während der Widerspruchsfrist beleuchtet und halten Sie künftig zu PFAS-Alternativen auf dem Laufenden. Alles, was Sie zum Thema wissen sollten, erfahren Sie hier.
In welchen Bereichen sehen Sie das höchste Innovationspotential für die Kautschukbranche?
Dr. Issel: Angesichts der globalen Herausforderungen besteht viel Potential in den Bereichen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Die Chemische Industrie setzt bereits heute auf nachwachsende Rohstoffe, die Kautschukverarbeiter erhöhen den Einsatz rezyklierter Materialien. Der Maschinenbau und die Gerätebauer können durch digitale Lösungen und Sensorik erhebliches Potential in den Bereichen Produktivität, Energiemanagement und Automatisierung leisten. Gleichzeitig können sich hieraus Qualitätsverbesserungen und Kosteneinsparungen in erheblichem Maße erzielen lassen. Die hohe Verfügbarkeit von Daten in Verbindung mit intelligenter Software erlaubt neuen Erkenntnisgewinn im Bereich von Material-, Funktions- und Prozessoptimierung. Ein angstfreier Umgang mit KI und starke europäische Softwareunternehmen wären für die Industrie eine Chance.
Mobilitätswende und intensiver Wettbewerb werden zwar weiterhin einen erheblichen Druck in der Branche aufbauen. Jedoch hat die Kautschukindustrie in Deutschland in Verbindung mit einer guten universitären Ausbildung mit Forschungsinstituten wie dem DIK und mit starken Verbänden wie der DKG, dem WDK oder dem ADK starke Partner an ihrer Seite.
Das eröffnet die Möglichkeit, sich überproportional Marktanteile durch schnelle Innovationen und hohe Qualität zu sichern. Voraussetzung hierfür wiederum ist, dass Gesetzgeber und Behörden durch Augenmaß und Dialog mit der Industrie verhindern, dass ein Übermaß an Verordnungen und Regulierung die für die innovative Transformation benötigen Ressourcen absorbiert oder behindert.
Anfang Juli findet in Nürnberg die DKT statt. Was sind diesbezüglich Ihre Erwartungen?
Dr. Issel: Mit der DKT 2024 in Nürnberg wird wieder die wichtigste Europäische Messe und Tagung für Kautschuk und Elastomere stattfinden. Sie ist ein Gradmesser für Innovation und Wirtschaftskraft unserer Branche. Es lohnt sich dort zu sein und aus erster Hand über neueste Entwicklungen und Ergebnisse der Forschung zu erfahren.
Die Gremien der DKG haben ein umfassendes und interessantes Vortragsprogramm zusammengestellt. Im Gegensatz zu früheren Veranstaltungen gibt es diesmal auch interaktive Veranstaltungen, wie Publikumsbefragungen zu Vorträgen über das Internet per Handy und öffentliche Gesprächsforen. Das Konzept eines Forums, in welchem Vorträge sowohl für Messe- als auch Konferenzbesucher angeboten werden, hat sich bewährt und wurde deshalb weiterentwickelt.
Wir erwarten eine sehr gut besuchte Veranstaltung wie bereits 2022 – beste Voraussetzungen, dass es eine erfolgreiche DKT 2024 wird.