Schemazeichnung mit grauen Kreisen.

Bild 1: Prozess zur Herstellung von gepressten Bauteilen mit definiertem Vernetzungszustand. (Bild: Sigmasoft)

Die Prozesssimulation mit Sigmasoft ist eine etablierte Technologie zum Minimieren von Kosten, Zeit und Ressourcen auf dem Weg von der ersten Idee eines Elastomerbauteils bis zur Massenproduktion. Des Weiteren ist eine darauffolgende Strukturanalyse des Bauteils mittels der Finiten Element Methode Stand der Technik, um das Verhalten des Produkts unter Belastung (Temperatur, Frequenz, Kräfte) vorauszuberechnen oder die immer wichtiger werdende Produktlebensdauer im Einsatz vorherzusagen. Infolgedessen ist der Schlüssel zu kosteneffizienten, hochwertigen Elastomerprodukten ein Verständnis des gesamten Produktionsprozesses und dessen Einfluss auf die Bauteilqualität. Dennoch sind Produktion und Einsatz des Bauteils zum Beispiel als Motorlager zwei getrennte Sichtweisen auf ein und dasselbe Produkt. Ähnlich bei der virtuellen Abbildung, wo zwischen zwei unterschiedlichen Simulationsansätzen unterschieden wird: Einer Prozesssimulation und einer anschließenden Strukturanalyse. Der virtuelle Spritzgießprozess wird im Allgemeinen so eingestellt, dass alle Kavitäten homogen gefüllt werden können und ein definierter Vernetzungsgrad, 80 bis 90 % sind übliche Werte in der Industrie, bei kürzest möglicher Zykluszeit erreicht wird. Die Strukturanalyse basiert auf mechanischen Eigenschaften, wie beispielsweise dem Druckverformungsrest oder dem dynamischen Verhalten. Die Ergebnisse der Prozesssimulation sind üblicherweise nicht mit den mechanischen Eigenschaften des Bauteils korreliert, sodass die Informationen aus der Spritzgusssimulation für die Strukturanalyse unzugänglich sind. Das getrennte Betrachten der Prozesssimulation und der Strukturanalyse führt in der Regel zur Annahme homogener mechanischer Parameter, was eine signifikante Vereinfachung darstellt.

Prüfmaschine, ausgestattet mit einem kundenspezifischen Prüfstempel zur zerstörungsfreien dynamischen mechanischen Analyse im Druckmodus
Bild 2: Prüfmaschine, ausgestattet mit einem kundenspezifischen Prüfstempel zur zerstörungsfreien dynamischen mechanischen Analyse im Druckmodus [1]. (Bild: Sigma Engineering)

Bauteilherstellung und mechanische Qualitätsprüfung

Ziel der Untersuchungen ist es, den Einfluss des Produktionsprozesses auf die mechanischen Eigenschaften des Endprodukts unter Standardbedingungen (Raumtemperatur) zu charakterisieren. Dazu werden Bauteile mit unterschiedlichen Vernetzungsgraden bei verschiedenen konstanten Temperaturen mit Hilfe eines Presswerkzeuges hergestellt. Das Presswerkzeug wird auf die gewünschte Temperatur aufgeheizt und nach dem Erreichen des thermischen Gleichgewichtes werden je Einstellung drei Bauteile, das heißt, Innenbereich: Ø70 mm, 6,3 mm dick, Außenbereich: Ø200 mm, 2 mm dick, hergestellt (Bild 1). Die zum Erreichen eines definierten Vernetzungsgrades erforderliche Vernetzungszeit wird anhand früherer Untersuchungen der Styrol-Butadien Kautschukmischung (SBR) mit dem Rubber Process Analyzer (RPA) D-RPA 3000 von Montech Werkstoffprüfmaschinen, Buchen, abgeschätzt. Ist während einem Produktionszyklus diese Zeit verstrichen und damit der gewünschte Vernetzungsgrad erreicht, wird das Bauteil nach dem Entformen vom Presswerkzeug unverzüglich in Eiswasser abgekühlt. Diese Vorgehensweise ermöglicht es einerseits eine voranschreitende Vulkanisationsreaktion oder thermische Degradation nach dem Entformen so weit wie möglich zu unterdrücken sowie andererseits einen definierten Abkühlprozess zu gewährleisten. Dieser Vorgang wird für jeden definierten Vernetzungsgrad (24 %, 43 %, 62 %, 80 % und 99 %) und jede dedefinierte Verarbeitungstemperatur (140 °C, 150 °C, 160 °C und 170 °C) dreimal wiederholt, um eine statistische Sicherheit in den Messdaten belegen zu können. Dabei wird angenommen, dass der Vernetzungsgrad und die Verarbeitungstemperatur in dem gesamten Probekörper annähernd konstant sind. Abschließend wird in der Mitte aller Bauteile die dynamische Steifigkeit, entspricht der Steigung der Kraft Weg Hysterese, mit einer zerstörungsfreien dynamischen mechanischen Analyse (DMA) im Kompressionsmodus gemessen (Bild 2). In Bild 3 kann beobachtet werden, dass mit zunehmendem Vernetzungsgrad die dynamische Steifigkeit zunimmt sowie dass diese mit steigender Produktionstemperatur abnimmt. Der Einfluss des Vernetzungsgrads und der Einfluss der Produktionstemperatur fast gleich groß sind. Ein Bauteil, das bis zu einem Vernetzungsgrad von 70 % bei einer Vernetzungstemperatur von 140 °C hergestellt wurde, weist die gleiche dynamische Steifigkeit auf, wie jenes, das bei 170 °C zu 90 % vernetzt wurde. Dies bedeutet, dass die Vernetzungsgeschichte und der aktuelle Vernetzungszustand für die mechanischen Eigenschaften gleichermaßen wichtig sind.

Lieniendiagramm mit vier bunten Linien.
Bild 3: Dynamische Steifigkeit in Abhängigkeit des Vernetzungsgrades und der Temperatur während der Herstellung für eine SBR Mischung [2]. (Bild: Sigma Engineering)

So erfolgt die numerische Modellierung

Im Bauteil entwickeln sich die Temperaturen lokal, daher ist die Annahme konstanter Temperaturen während eines Produktionsprozesses nicht gültig. Die Temperatur ist somit keine geeignete Größe zum Modellieren der dynamischen Steifigkeit. Es wird daher eine Alternative zum Beschreiben der Prozesshistorie benötigt. Daher wird die mittlere Vernetzungsgeschwindigkeit (ċ) eingeführt wobei ċ die aktuelle Vernetzungsgeschwindigkeit und t die Vernetzungszeit beschreibt. Das Beschränken auf einen maximalen und einen minimalen Vernetzungsgrad c stellt sicher, dass nur die eigentliche Vernetzungsreaktion berücksichtigt wird. Alle Zeiten vor und nach der eigentlichen Reaktion werden beim Berechnen außer Acht gelassen. Die mittlere Vernetzungsgeschwindigkeit erfasst somit die temperaturabhängige Vernetzungsgeschwindigkeit während des Vulkanisationsprozesses. Bei konstanten Temperaturen vereinfacht sich die mittlere Vernetzungsgeschwindigkeit auf die Sekantensteigung vom Beginn der Vernetzung bis zu ihrem Ende. Mit diesem Modell kann aber auch eine beliebige Temperaturhistorie abgebildet und damit der Herstellungsprozess dargestellt werden. Für jede in Bild 3 dargestellten Temperatur und jeden Vernetzungsgrad wird die durchschnittliche Vernetzungsgeschwindigkeit berechnet und folgend mit der dynamischen Steifigkeit über den Vernetzungsgrad korreliert (Bild 4). Es ergibt sich eine monotone Korrelation zwischen der dynamischen Steifigkeit und dem Vernetzungsgrad sowie der durchschnittlichen Vernetzungsgeschwindigkeit. Zur numerischen Approximation der dynamischen Steifigkeit cdyn in Abhängigkeit vom Vernetzungsgrad und der durchschnittlichen Vernetzungsgeschwindigkeit wird ein quadratisches Modell vorgeschlagen wobei α, β1,2, und γ1,2 Modellparameter sind. Diese Parameter werden mit der Methode der Minimierung der Fehlerquadrate bestimmt. Bild 5 stellen das Modell und die Messdaten im Vergleich dar. Das Modell kann mit den Parametern aus Tabelle 1 die Messdaten mit einem  Bestimmtheitsmaß R2=95 % abbilden. Der ortsaufgelöste Vernetzungsgrad und die mittlere Vernetzungsgeschwindigkeit können mit Hilfe einer Prozesssimulation bestimmt werden und dienen anschließend als Eingangsgrößen für dieses neue Modell. Als Ergebnis wird die ortsaufgelöste dynamische Steifigkeit berechnet, die die bisherigen homogenen mechanischen Parameter für die Strukturanalyse ersetzt.
In diesem Beitrag ist die dynamische Steifigkeit ein Beispiel für eine mögliche mechanische Eigenschaft. Das Verfahren kann in gleicher Art und Weise auch für andere mechanische Eigenschaften wie beispielsweise E-Modul oder Druckverformungsrest angewendet werden.

Lienendiagramm mit fünf bunten Linien.
Bild 4: Dynamische Steifigkeit in Abhängigkeit des Vernetzungsgrads und der durchschnittlichen Vernetzungsgeschwindigkeit. (Bild: Sigma Engineering)

Diese Erkenntnisse wurden gewonnen

Tabelle mit drei Spalten
(Bild: Sigma Engineering)

Die Annahme homogener mechanischer Parameter in der Strukturanalyse schränkt die erreichbare Genauigkeit ein. Experimentell konnte gezeigt werden, dass zwei Prozessfaktoren die mechanischen Eigenschaften dominieren, nämlich der Vernetzungsgrad und die durchschnittliche Vernetzungsgeschwindigkeit. Es wurde dargelegt, wie lokal aufgelöste mechanische Eigenschaften für die Strukturanalyse aus der Prozesssimulation gewonnen werden können. Dazu wurden ein neuartiges Messverfahren sowie ein neues Modell, das die Prozessbedingungen und die mechanischen Eigenschaften des fertigen Bauteils miteinander in Beziehung setzt, vorgestellt. Die Berechnung des Vernetzungsgrades, der durchschnittlichen Vernetzungsgeschwindigkeit und der gewünschten mechanischen Parameter für die Strukturanalyse sind nahtlos in die Spritzgießsimulationssoftware Sigmasoft integriert.

 

Literatur
[1] Hutterer, T., Development of a Self-Optimizing Rubber Injection Molding Machine Control, PhD Thesis, Montanuniversität Leoben (2021).
[2] Hornbachner M., Experimental validation of rubber curing kinetic models based on final product properties, Master Thesis, Montanuniversitaet Leoben (2022)‘
1Weinhold G., Modeling the influence of the injection molding process on mechanical properties, DKT (2021)

Quelle: Sigma Engineering

Quelle: Polymer competence Center

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