Viktoria Schütz, Geschäftsführerin, Deguma Schütz

Viktoria Schütz, Geschäftsführerin, Deguma Schütz (Bild: Redaktion)

Vor einem Jahr haben Sie die Vier-Tage-Woche bei Deguma Schütz eingeführt. Wie blicken Sie auf das Jahr zurück?

Viktoria Schütz: Das Jahr war spannend von Anfang an. Wir wussten nicht, was auf uns zukommt, obwohl wir uns gut vorbereitet hatten. Diesem Schritt voraus ging die kulturelle Unternehmenstransformation, bei der wir uns damit beschäftigt hatten, mehr im Team zu arbeiten, die Eigenverantwortung der Mitarbeiter zu fördern und auch Entscheidungen und Problemlösung zurück ins Team zu delegieren. Hierbei hat sich das Unternehmen immens weiterentwickelt. Lösungen wie feste Montageplätze für Maschinen sind aus den Teams heraus entstanden. Ein Punkt, den wir gar nicht bedacht hatten, der für die Mitarbeiter in der Fertigung jedoch wichtig ist und nun von ihnen selbst entschieden wurde.
Diese zuvor stattgefundene Entwicklung bildete einen guten Grundstock, um sagen zu können: jetzt die Vier-Tage-Woche, ohne zu wissen, ob es funktioniert. Wir sind zwischenzeitlich gewohnt, dass wir Dinge ausprobieren und wieder ändern, wenn wir feststellen, es hilft nicht. Das ist ein Lernprozess, den wir in den letzten Jahren durchlaufen haben. Und so haben wir uns auch an die Vier-Tage-Woche herangewagt. Begleitet wurde das Projekt durch die Technische Universität Ilmenau. Das heißt, die TU bestimmte nicht, was wir machen, sondern wir entschieden, was wir ausprobieren wollen, und die Dokumentation erfolgte durch die TU.
In den hinführenden und begleitenden Workshops für die Vier-Tage-Woche ging es um Themen wie: Wovor haben wir Angst? Was müssen wir überarbeiten? Was müssen wir ändern, um diesen Schritt überhaupt machen zu können? Wie müssen wir uns aufstellen und planen? Das war die Voraussetzung, bevor wir gestartet sind. Und dann ging es los, und es war aufregend! Hier und da hat es ein bisschen gehakt. So haben wir zum Beispiel nach drei Monaten in der Produktion gemerkt, es geht nicht, dass die Hälfte der Leute montags und die andere freitags arbeitet, sondern es müssen immer alle zusammenarbeiten. So wurde der Freitag zum freien Tag für alle Produktionsmitarbeiter. Auch in den Büros musste sich das asynchrone Arbeiten, mit den veränderten Kommunikationszeiten erst einspielen. Ebenso bei uns in der Geschäftsführung, denn auch wir sind Teil der Vier-Tage-Woche.
Die für sechs Monate geplante Testphase war schneller vorbei als gedacht. Vieles lief gut, aber manches auch nicht. Doch es war klar, wenn wir aufhören, dann war es das – ausprobiert und nicht geklappt. Davon waren wir nicht überzeugt, sodass wir um weitere sechs Monate verlängerten. Das war gut so und es hat sich alles gut eingespielt. Die Mitarbeiter wurden immer entspannter, die Krankentage sind stark gesunken – auch im Winter.
Gegen Ende des Testjahres haben wir gemerkt, dass die Dinge, die nicht rund laufen nichts mit der Vier-Tage-Woche zu tun haben. Nehmen wir den Umsatz, der nicht so ist wie wir ihn gerne hätten. Das liegt aber nicht an der Vier-Tage-Woche, sondern weil die wirtschaftliche Lage im Maschinenbau durch die fortlaufenden Krisen seit Jahren schwierig ist. Bei manchen Prozessen haben wir sicherlich auch noch Potenzial, weshalb wir diese immer wieder auf den Prüfstand stellen. Wichtig für uns ist auch, die Leute sind alle entspannter und ausgeglichener, auch im Miteinander, sodass wir gesagt haben: Wir machen weiter!

Wie wurde diese Entscheidung von den Mitarbeitern aufgenommen?

Schütz: Sie haben sich natürlich alle gefreut, als wir die Fortführung bei unserem gemeinsamen Teamfrühstück verkündet haben. Viele haben gesagt, ich wüsste gar nicht, wie ich Familie und Beruf jetzt wieder mit 5 Tagen Erwerbsarbeiten vereinbaren soll. Aktuell arbeiten 40 Prozent Frauen bei uns, und da geht es ja auch viel um Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber es geht auch darum, dass die Männer sich mehr um den Familienalltag inklusive der Unterstützung der eigenen Eltern kümmern können. Das Thema Vereinbarkeit und Frauen mit Familie zurück in den Beruf zu bringen, ist für mich ein Anliegen. Wir müssen an den Arbeitszeitmodellen arbeiten. Sobald Kinder da sind, arbeitet der Mann 40 Stunden, die Frau 20, und das ändert sich oft nicht mehr, bis sie in Rente gehen – das muss aufgelöst werden. Die Frauen brauchen die Chance, sich mehr im Unternehmen einzubringen. Die Vier-Tage-Woche ist hierfür gut geeignet.
Ich habe das Gefühl, dass junge Frauen heute noch bei der Berufsauswahl oft in den Vordergrund stellen, ob der Beruf später eine Teilzeitmöglichkeit bietet. Die klassische Bürosachbearbeiterin ohne Zusatzqualifikation bekommen wir sehr oft als Bewerbung, aber wir haben dafür keinen Bedarf mehr. Hätten sie Mechanikerin oder Elektronikerin gelernt, so würden sie immer einen Job finden. Das ist so ein großer Potenzialverlust für unser Land. Das schaffen wir meiner Meinung nach nur, wenn wir die Teilzeit, also Arbeitszeitmodelle, ändern.

Sehen Sie die Vier-Tage-Woche als solch ein Modell?

Schütz: Durchaus. Wenn wir jetzt vom ganzen Land sprechen, müsste es eigentlich die 30 Stunden Woche für alle sein.

Weshalb?

Schütz: Es sollte für Arbeitnehmer klar sein, dass er mit 30 Stunden Karriere machen kann, und nicht 40 Stunden arbeiten muss, um ein vollwertiges Mitglied zu sein. Der unterschiedliche Verdienst ist dann kein Argument mehr, bei der Entscheidung, wer sich um die Familie kümmert. Außerdem glaube ich, dass zwei Menschen, die beide 30 Stunden arbeiten jeweils ein größeres Potenzial entfalten als die Verteilung 40/20. Und auf die spätere Rente wirkt es sich für Mütter auch positiv aus. Es braucht ein Gesamtkonzept. Es geht ja nicht darum, dass wir alle weniger Output liefern, sondern wie können wir gesund und motiviert bleiben und eben auch, wie können wir Gesellschaft und Wirtschaft so gestalten, dass die Einkommens- und Machtverhältnisse gleich sind zwischen den Geschlechtern. Frauen und ihre Herausforderungen müssen mehr mitgedacht werden, und das wurden sie leider in der Vergangenheit nicht. Das System ist auf das Alleinverdienermodell mit einer Hausfrau im Rücken ausgelegt – also eine 40 Stundenwoche!

Erfüllt das aktuelle Modell überhaupt noch seinen Zweck?

Schütz: Alle Firmen sollten das 40-Stunden-Modell auf den Prüfstand stellen. Bei technischen Entwicklungen ist es selbstverständlich, dass sie immer wieder überdacht werden, bei der Art der Arbeit und der Arbeitszeit soll immer alles so bleiben wie gehabt. Interessanterweise hat die Metallindustrie seit Jahren die 35 Stunden Woche. Wir haben jetzt die 34 Stunden Woche, das ist nur eine Stunde Unterschied und trotzdem sagt die Mehrheit erstmal, das geht doch nicht, wo kommen wir denn da hin?

Sie haben ja jetzt mit 40 % einen relativ hohen Frauenanteil in einem technischen Unternehmen. Wie kam es dazu?

Schütz: Das liegt hauptsächlich darin begründet, dass wir zwei Frauen sind, die die Firma führen und Werte erarbeitet haben, die wir auch kommunizieren. Das ist schon auch für viele Frauen ansprechend, weil die dann wissen: Okay, da ist mehr Verständnis für meine Lebenssituation.

Haben sich aufgrund der Vier-Tage-Woche bei Ihnen initiativ Menschen beworben?

Schütz: Wir haben jetzt keinen Riesenansturm bekommen. Wir haben aber auch immer kommuniziert, dass es erst mal ein Test ist. Unser Bekanntheitsgrad ist durch die Vier-Tage-Woche jedoch enorm gestiegen. Wir sind anders. Ich leg auch viel Wert das auch immer zu vermitteln. Es geht nicht darum, dass wir im Umkreis den Firmen die Leute wegnehmen wollen, sondern wir wollen nur die anziehen, die zu uns passen. Und selbst wenn sich hier zehn Industriemechaniker bewerben, passt wahrscheinlich am Ende nur einer zu uns. Denn wir möchten Leute haben, die mitdenken, gerne im Team arbeiten und Verantwortung übernehmen wollen und können. Wer hierarchische Strukturen benötigt fühlt sich hier nicht wohl, das haben die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt.

Stammen die Bewerber aus der Region?

Schütz: Ja, die kommen aus der Region. Hier gibt es wenige Leute, die zuziehen. Und die, die hier sind, wissen den kurzen Arbeitsweg zu schätzen und die, die etwas länger fahren merken es Dank der Vier-Tage-Woche nun am Geldbeutel.

Wie steht es um die Nachwuchskräfte?

Schütz: Es klappt eigentlich ganz gut. Wir haben länger nicht ausgebildet und erst vor drei Jahren wieder begonnen. Unser erster Azubi macht jetzt seine Abschlussprüfung. Junge Leute zum Praktikum haben wir öfter da, das ist oft ein guter Einstieg ins spätere Ausbildungsverhältnis. Die jungen Leute fühlen sich bei uns sehr wohl, weil sie ernst genommen und ihre Vorschläge angehört werden.

Und in welchen Berufen bilden sie aus?

Schütz: Elektroniker für Automatisierungstechnik, Industriemechaniker, und Kaufleute für Büromanagement, ab dem neuen Ausbildungsjahr auch Mechatroniker. Wir merken schon, dass heute viele junge Leute eher studieren wollen, als eine Ausbildung zu machen. Diese Menschen mit einer praktischen Ausbildung fehlen uns natürlich. Wir haben letztes Jahr einen Auszubildenden eingestellt, der sein Studium doch zu trocken und theoretisch fand. Er weiß jetzt genau, was er möchte und ist eine große Bereicherung für uns.

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Wie werden bei Deguma Innovationen generiert?

Schütz: Bei uns können sich die Mitarbeiter einbringen. Sie sind immer aufgefordert, ihre Ideen zur Sprache zu bringen, um Prozesse zu optimieren und Mehrwert für die Kunden zu generieren. Unser Anspruch ist es, den Kunden 360 Grad um das Walzwerk zu bedienen, und dadurch entstehen Lösungen wie die Notfallbox oder das ergonomisch geformte Walzenmesser. Es ist leicht, liegt gut in der Hand und durch den Radiusschliff lässt sich das Fell gut von der Walze schneiden – die Idee unserer Leute, die ständig mit den Bedienern zu tun haben. Wir haben keine Innovationsabteilung, die Ideen kommen von den Werkern oder auch den Monteuren. Gerade deren Input aus dem Feld ist wichtig, um Lösungen entwickeln zu können. Wenn die durch Mitarbeiter initiierten Produkte am Markt erfolgreich sind, dann ist das die größte Belohnung, die sie bekommen können.

Hatten Sie während der Unternehmenstransformation Unterstützung von außen?

Schütz: Wir haben uns das zu 95 Prozent selbst erarbeitet. Es war ein steiniger Weg aus dieser alten, hierarchischen in die selbst bestimmte Arbeitswelt. Es galt die vorhandenen Strukturen aufzubrechen und das Potenzial in den Menschen zu heben. Dass man sich einbringen und mitdenken kann, und dass das am Ende viel mehr Freude an der Arbeit und im Leben beschert, entwickelt sich erst mit der Zeit. Es tut einfach gut, den Alltag und Entscheidungen selbst mitzugestalten. Ich als Führungskraft spüre, dass ich mehr Zeit für strategische Planungen habe und im Tagesgeschäft weniger wichtig bin.

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Was ist die längste Betriebszugehörigkeit in Ihrem Unternehmen?

Schütz: Fast 30 Jahre.

Waren die langjährigen Mitarbeiter während der Transformation schwieriger abzuholen?

Schütz: Nein, nicht pauschal. Das war und ist wirklich überraschend. Manche Leute konnten wir nicht mitnehmen, aber hätten wir uns nicht transformiert, wären andere gegangen beziehungsweise viele der tollen neuen Teammitglieder gar nicht zu uns gekommen. Wir haben in den einzelnen Teams unterschiedliche Schwierigkeiten gemerkt. Es war zeitweise ein bisschen wie Achterbahn fahren mit zahlreichen Aufs und Abs. Die Teams unterscheiden sich und mussten da abgeholt werden, wo sie gerade standen. Wir alle mussten verstehen, dass die Veränderung bei uns selbst beginnt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben den Raum bekommen sich weiterzuentwickeln und das war für viele der Ansporn in neue Aufgaben zu wachsen. Daher sind wir als Unternehmen jetzt auf einem höheren Niveau als noch vor fünf Jahren.
Durch unsere Vision 2030 und das zugehörige Zukunftsbild, das groß im Unternehmen hängt, auf dem wir täglich sehen, wie wir uns unser Wirken und unsere Zusammenarbeit in 2030 vorstellen, schauen wir heute alle in die gleiche Richtung.

Das Interview führte Simone Fischer, verantwortliche Redakteurin KGK

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