
Bild 1: Verwertungswege von Reifen zu verschiedenen Gummirezyklaten. (Bild: Evonik Operations)
Seit es Gummi gibt, wird dieser auch nach seiner Lebenszeit verwertet – jedoch kaum in den originären Produkten, sondern vielmehr als energetischer oder stofflicher Rohstoff für andere Anwendungen. Dies ist unter anderem den werkstofflichen Eigenschaften von klassischem Gummi geschuldet. Da dieser im Herstellungsprozess irreversibel vulkanisiert wird, kann dieser nicht so einfach wieder eingeschmolzen werden wie thermoplastische Kunststoffe, Glas, oder Metall. Für eine stoffliche Wiederverwendung gibt es daher im Wesentlichen drei Möglichkeiten (Bild 1):
- Vermahlen zu Gummigranulaten oder Gummimehlen
- Devulkanisation zur Wiedergewinnung von Rohkautschuk
- Pyrolyse zur Wiedergewinnung von Rohbestandteilen wie Ruß (rCB) oder Ölen.
Neben den Vor- und Nachteilen der einzelnen Verfahren ist die weitreichende Verfügbarkeit der rezyklierten Materialien ein wesentlicher Faktor für die industrielle Anwendbarkeit. Gerade in diesem Aspekt sind Gummigranulate und Mehle ein seit Jahrzehnten etablierter Rohmaterialstrom. Die ubiquitäre Verfügbarkeit von Altreifen liefert die Quelle für weltweit geschätzt über 4,5 Mio. t gemahlenem Gummi pro Jahr, die damit in der Größenordnung der globalen Butadienkautschukproduktion liegt – Tendenz steigend. In Deutschland beziffert der Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie (WDK) die Gummigranulatproduktion derzeit mit 236.000 t, womit das stoffliche Verwerten von Altreifen das energetische Verwerten, also Verbrennung, mittlerweile überholt hat.
Deshalb ist Gummirecycling herausfordernd
Trotz dieser erfreulichen Tendenz stellen Hersteller von Reifen und technischen Gummiartikeln nach wie vor den kleineren Teil der Rezyklatabnehmer dar, und das, obwohl Gummimehle preislich sehr attraktive und gut verfügbare Rohstoffe mit belegbaren Nachhaltigkeitsvorteilen sind. Hauptgründe für die eingeschränkte Verwendung sind Verarbeitungsprobleme, Einbußen bei den mechanisch/dynamischen Eigenschaften, der Qualitätskonstanz, des optischen Erscheinungsbildes, sowie Bedenken zu möglichem Schadstoffgehalt. In der Beherrschung dieser technischen Nachteile liegt daher ein Schlüssel zu mehr Nachhaltigkeit – inklusive ökonomischer Vorteile als wichtigen Treiber einer immer stärker unter Kostendruck stehenden Industrie. Der spezielle Kautschuktyp Trans-Polyoctenamer (TOR) ist seit den 80er Jahren ein bewährtes Material in der Reifen- und Gummiindustrie und wird unter dem Handelsnamen Vestenamer als Prozessadditiv vertrieben. Das niedrigschmelzende, semi-kristalline, und thermoplastische Material verbindet die Vorteile eines vielseitigen Prozesshilfsmittels mit den guten mechanischen und dynamischen Eigenschaften eines vulkanisierbaren Spezialkautschuks. Aufgrund seines ungewöhnlichen Eigenschaftsprofils hat es Einzug in nahezu alle Bereiche der Gummiindustrie wie Reifen, Schläuche, Profile, Förderbänder, Antriebsriemen, Schuhsolen, Formprodukten oder Schäumen gehalten. Speziell bei der Lösung entwicklungstechnischer Zielkonflikte ermöglicht es häufig einzigartige Kombinationen: Beispiele sind die Viskositätsreduktion, ohne dabei Produkthärte zu verlieren, reduzierte Klebrigkeit bei besserer Anbindung an andere Kautschuktypen oder extrusionsfördernde Wirkung bei gleichzeitigem Erhöhen der Grünfestigkeit. Da Polyoctenamere wie beispielsweise die klassischen Kautschuktypen NR, SBR, BR vulkanisieren, teilt TOR nicht die Nachteile üblicher Prozesshilfsmittel. Gerade das qualifiziert es auch für die Rolle als nicht-migrierender Weichmacher für sensible Anwendungen wie pharmazeutische Gummiprodukte oder fluidführende Schläuche.

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Wie die Partikel beschichtet werden
Der Nutzen von TOR tritt besonders mit rezyklierten Materialien zutage und wurden erstmals vor gut 20 Jahren publiziert. Wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Jahre zeigen tiefere Einblicke in die spezifischen Oberflächeneffekte und konnten die anwendungstechnischen Vorteile auf einen Beschichtungsmechanismus der Gummipartikel zurückführen. Als niedrigschmelzendes, aber trotzdem hochmolekulares Polymer, kann TOR in die Oberfläche von Gummimehlen eindiffundieren und damit eine funktionale Oberflächenmodifizierung erreichen (Bild 2). Diese modifizierten Gummipartikel lassen sich besser verarbeiten und bieten gleichzeitig eine vulkanisierbare Oberfläche. Letztere ermöglicht eine bessere Co-Vulkanisation mit Frischmischungen, kann aber auch als vernetzbare Binderschicht neue Formprodukte aus 100 % Gummimehlen als Basispolymer ermöglichen.

So wirkt die Beschichtung
Wie eingangs erwähnt, stellen Gummimehle den Anwender vor Verarbeitungsprobleme. Diese äußern sich vor allem in höherer Verarbeitungsviskosität aber auch in Form einer unerwünschten Beschleunigung der Vulkanisation (Scorch). Die Ursache dafür liegt in der Natur des Gummipartikels, der kein „toter Füllstoff“ ist, sondern beim Einmischen in die Kautschukmatrix Migrationsprozessen unterliegt. Dies führt im Mischprozess zum Freisetzen von Beschleunigern aus den Partikeln, aber auch zur Aufnahme von Vernetzungskomponenten aus der Matrix wie zum Beispiel Schwefel. Beides verändert die Vulkanisationscharakteristik des Compounds in unerwünschter Weise.
Die TOR-Beschichtung wirkt diesen Problemen durch ihren viskositätsminderten Effekt, sowie durch verzögertes Einsetzen der Vulkanisation entgegen. Wie stark diese ausgeprägt sind, hängt auch von der Art des Rezyklats ab, wie Mooney Viskositätsdaten und Scorch-Zeiten zeigen (Bild 3). Als Beispiel wurde hier eine Scheibenwischerblatt-Mischung verwendet, die in der Verarbeitung hohe Anforderungen an die Extrudierbarkeit stellt. Auch hier zeigen sich Verbesserungen im Vergleich zur Referenz, wie die Ergebnisse belegen. Eine weitere Herausforderung stellt das Anbinden der Gummipartikel an die Kautschukmatrix dar. Die Grenzfläche zwischen Partikel und Matrix führt als mechanische Schwachstelle in der Regel zu reduzierter Zugfestigkeit und Reißdehnung. Bei großen Härteunterschieden zwischen Gummipartikel und Matrix wird diese Problematik noch durch den Härtegradienten zwischen den Materialien verschärft. Bei größeren Rezyklatanteilen tritt meist eine direkte Abhängigkeit zwischen Rezyklatanteil und Qualitätseinbußen ein. In einigen Fällen können zwar auch positive Verstärkungseffekte, wie bei klassischen Füllstoffen, beobachtet werden, diese treten aber nur bei geringen Gummimehlanteilen und sehr kleinen Partikelgrößen auf. Mit der grenzflächenaktiven Beschichtung können auch hier Verbesserungen in den mechanischen Eigenschaften erreicht werden. Wie die Beispiele zeigen, treten in den meisten Fällen verbesserte Zugfestigkeiten und maximale Reißdehnungen auf (Bild 4). Die Qualitätskonstanz wird ebenfalls positiv beeinflusst, wie die Weiterreißfestigkeitswerte zeigen. Neben den Verbesserungen selbst, sind insbesondere die geringeren Abweichungen der Einzelergebnisse ein Mehrwert, da Sekundärrohstoffe intrinsisch eine höhere Varianz ihrer Eigenschaften aufweisen als neue Materialen. Gerade letzteres stellt einen wichtigen Schritt in Richtung besserer Beherrschbarkeit der technischen Eigenschaften dar.

Einfluss der Beschichtung auf die Produkteigenschaften
Bei 100 Teilen Gummimehl ohne Einsatz von Frischkautschuk werden maximale Kostenersparnis und Nachhaltigkeit erzielt. Für diesen Anwendungsfall kann der Einsatz von TOR als vernetzender Binder zu guten Produkten führen. Klassisch werden derartige Formprodukte mit Polyurethanbindern (PUR) hergestellt, wie sie beispielsweise von Fallschutzmatten oder Bodenbelägen für Sport- und Spielplätze bekannt sind. Für funktionale Gummiprodukte eignet sich diese Technologie aber nur bedingt, da UV-Beständigkeit, Biegewechselfestigkeit, aber auch den mechanisch/dynamischen Eigenschaften klare Grenzen gesetzt sind. Mischungen aus Gummimehlen mit TOR und klassischen Schwefelvernetzungssystemen eröffnen hier ein weites Feld an neuen Anwendungsbereichen für derartige Formprodukte. Damit dies gelingt, muss das Zusammenspiel zwischen Bindersystem (Dosierung, Vernetzung) und dem verwendeten Gummimehl (Typ, Partikelgröße und Morphologie) optimiert werden. Beides hat entscheidenden Einfluss auf die erreichbaren Eigenschaften und das Kosten-Nutzen-Verhältnis. Die systematische Studie verschiedener Gummimehle mit der Beschichtung zeigt, dass Zugfestigkeiten bis 13 MPa und maximale Reißdehnungen über 260 % mit wiedervernetzten Gummimehlen möglich sind (Bild 5). Durch das Optimieren der Prozessbedingungen kann dies sogar noch übertroffen werden. Bei Verwendung von ambientgemahlenen Pkw-Reifenmehlen profitieren die Compounds insbesondere von der kompatibilisierenden Wirkung der Beschichtung. Hier wird ein nahezu linearer Zusammenhang der mechanischen Eigenschaften zur TOR-Dosierung festgestellt. Ein besonderes Beispiel ist das Verbessern der Biegewechselbeständigkeit, die den Weg für dynamisch belastete Produkte eröffnet. Abschließend sei noch die verbesserte Oberflächenerscheinung genannt, die gummimehlbasierte Produkte nahe an die Qualität von Neugummiprodukten heranführt.

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Was erwartet werden kann
Die Beispiele sollen verdeutlichen, dass rezyklierten Gummimaterialen mit der richtigen Additivlösung und Formulierungsentwicklung durchaus einiges zuzutrauen ist. Die genannten Beispiele geben einen ersten Eindruck auf die breite Anwendbarkeit und zukünftige Relevanz von Vestenamer. Die Anwendungsmöglichkeiten sind zahlreich und für unterschiedlichste Bereiche und Industrien nützlich. Polyoctenamere machen Verarbeitung und Eigenschaften beherrschbarer und damit Gummirezyklate breiter einsetzbar – ein wichtiger Lückenschluss auf dem Weg zu einer zirkulären und ökonomischen Gummiindustrie.
Quelle: Biesterfeld
Quelle: Evonik