Roter Antrieb in einer gelben Produktions-Zelle

Der am Mischwalzwerk angebaute drehzahlgeregelte Direktantrieb nutzt wassergekühlte ­Servomotoren (vorne und hinten), um je eine Axialkolbenpumpe anzutreiben. Über die Stellglieder Motordrehzahl und Verstellwinkel lassen sich die zwei Radialkolbenmotoren regeln. (Bild: Freudenberg Sealing Technologies)

In der Gummiindustrie ist die Arbeitssicherheit seit jeher eine zentrale Anforderung bei Walzwerken und Kalandern. Neben den Gesamtkosten inklusive Betrieb und Wartung spielt zwischenzeitlich die Energieeffizienz ­eine entscheidende Rolle bei der Kaufentscheidung. Welche Antriebstechnologie schneidet in einer konkreten Anwendung unter allen Aspekten besser ab?

Deshalb sind hohe Leistung und ­Drehmoment gefragt

Am Standort Berlin produziert Freudenberg Sealing Technologies unter anderem Achsmanschetten und andere Gummiteile. „Um die Rohstoffe für Natur- und Synthesekautschuk zu mischen und weiter zu verarbeiten, sind leistungsstarke Antriebe mit hohen Leistungen und Drehmomenten erforderlich“, erklärt Marek Semrau, Senior Global Process Engineer bei Freudenberg Sealing Technologies. „Die zum Teil hochviskosen Materialien werden zunächst im so genannten Innenmischer gemischt, bevor sie als Mischungsballen in das Walzwerk fallen. Dort werden sie durch wiederholtes Einziehen weiter gemischt, langsam abgekühlt und schließlich als unterschiedliche Zuschnitte für die anschließende Vulkanisation abgezogen.“
Technologisch spricht die Leistungscharakteristik von Walzwerken und ­Kalandern laut Semrau für hydrostatische Direktantriebe. „Aufgrund gestiegener Anforderungen an die Energieeffizienz wurden in den vergangenen Jahren aber auch elektromechanische Antriebe angeschafft“, sagt Semrau. „Allerdings bringen die rund sechs Tonnen schweren mechanischen Getriebe pro Walze spezifische Nachteile wie hohe Massenträgheit und Größe mit sich, die wir beim Hydroantrieb nicht haben.“
Um herauszufinden, ob ein moderner Hydroantrieb bezüglich Energieef­fizienz mit einem fünf Jahre jungen elektromechanischen Antrieb mithalten kann, gab es ein Kooperationsprojekt mit Bosch Rexroth, welches bis in das Jahr 2016 zurück reicht. Semrau beauftragte den langjährigen Systemintegrator
Matech Maschinen und Technik aus Lutherstadt Wittenberg zwecks Vergleichsanalyse mit dem Umbau in Berlin auf einen von Bosch Rexroth neu konzipierten Kompaktantrieb.

Das sind Details zum energie­effizienten Konzept

Der neue, drehzahlgeregelte Kompaktantrieb mit stufenlosem hydrostatischem Getriebe für die Gummiindustrie ist in sechs Leistungsklassen von 15 bis 120 kW verfügbar. Je nach Anwendung kommt ein robuster Hägglunds Radialkolbenmotor der Reihen Compact CA oder Quantum QMX zum Einsatz. Die Versorgung des Hydromotors erfolgt in einem geschlossenen Fluidkreislauf durch einen drehzahlvariablen Antrieb aus wassergekühltem Servomotor und Axialkolbenpumpe.
„Solche hydrostatischen Getriebe mit einem variablen Übersetzungsverhältnis sind leistungsstark, schnell zu regeln und wartungsarm“, erklärt Jörg Schlegel, Geschäftsführer von Matech. „Gleichzeitig erreichen wir dadurch aber auch eine höhere Energieeffizienz.“ Die beiden Walzenantriebe für das Umbauprojekt beim Gummiverarbeiter leisten jeweils 55 kW und nutzen einen Hägglunds CA100 Hydromotor mit einem Nenndrehmoment von 25.000 Nm (maximal 33.500 Nm) und einer Nenndrehzahl von bis zu 23 min-1.
Wie Vergleichsmessungen bei Freudenberg zeigen, erreicht die neue Direktantriebslösung für Walzwerke und Kalander deutlich kürzere Bremswinkel als der elektromechanische Antrieb. Für ein sicherheitsorientiertes Unternehmen ist dies ein wichtiges Kriterium. Denn nach Empfehlung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversorgung (DGUV) dürfen die Walzen zum Schutz gegen Einziehen nach Kontakt mit der Not-Aus-Stange nur noch maximal 45° weiterdrehen, was etwa einer Handlänge entspricht.
Mechanische Getriebe ohne Beschädigungsgefahr bilden einen Bremswinkel von circa 20° ab, die Rexroth Lösung einen Winkel von 3,5°. Dadurch ist ein Einziehen in die sich gegenläufig drehenden Walzen technisch unmöglich. Erreicht wurde dies durch einen redundanten Quick-Stopp über den elektrischen Widerstand im Frequenzumrichter und eine mechanische Bremse im Servomotor. „Das ist ein großer Gewinn für die Sicherheit“, freut sich Semrau, dessen Projekt den ersten Platz beim unternehmensinternen Innovationspreis belegt hat.

Diagramm mit roten und lila farbenen Linien und Beschriftung.
Geringere Leistungsaufnahme: Die rote Kurve der Hydraulik­lösung zeigt einen geringeren Strombedarf mit weniger Last­spitzen als die der Elektromechanik (violett). (Bild: Freudenberg Sealing Technologies)

So werden Energie, Platz und ­Ressourcen gespart

In punkto Energieersparnis haben die Vergleichsmessungen gezeigt, dass die neuartige Lösung mit Hydromotor prozessabhängig mindestens gleich, teilweise sogar besser abschneidet als der elektromechanische Antrieb. Gegenüber einer konventionellen Hydraulikversorgung beträgt die Energieersparnis etwa 40 %. Dass dabei sogar noch Luft nach oben ist, belegen weiterführende Messungen an der Maschine in Berlin, die im Rahmen des gemeinsamen Kooperationsprojekts ausgewertet wurden. Demnach übt die Ölviskosität und die damit verbundene Öltemperatur einen großen Einfluss auf den Energieverbrauch aus, weshalb Freudenberg weitere Fluide evaluieren möchte.
Die Hägglunds Antriebslösung von Bosch Rexroth benötigt gegenüber der elektromechanischen Ausführung rund 40 % weniger Platz, außerdem ist das Gesamtgewicht pro Antrieb von über 6.000 auf circa 780 kg gesunken. Und auch die benötigte Fluidmenge ist deutlich kleiner. Während sie für beide Kegelstirnradgetriebe etwa 300 l betrug, kommt der Hydroantrieb inklusive des kleinen Speiseaggregats für Nebenfunktionen mit einer Fluidmenge von 60 l aus.
Auch bei der Performance erkennt Semrau Verbesserungen: „Ohne mechanisches Getriebe steht bei Bedarf sofort das volle Drehmoment zur Verfügung, und zwar zeitlich unbegrenzt.“ Die mit gleicher Leistung ausgelegten Motoren der elektromechanischen Lösung wurden aufgrund der Massenträgheit des Getriebes prozessbedingt häufiger überlastet. So verursachte beispielsweise das starke Beschleunigen zum Abziehen des Gummistreifens eine Spitzenleistung von 85 statt 55 kW. Wird der gleiche Prozessschritt mit den neuen Antrieben ausgeführt, sind keine Lastspitzen des Elektromotors im Prozess festzustellen, was theoretisch eine weitere Reduktion der installierten Leistung zur Folge haben könnte. Ein weiteres Merkmal des hydrostatischen Antriebs ist die stufenlos einstellbare Friktion, also das Drehzahlverhältnis zwischen den Walzen, das eine stabile Prozessführung am Walzwerk ermöglicht.

Zwi graue Hydromotoren einer Mischwalze nebeneinander.
Kompakter und leichter: Die Mischwalze mit Hydromotor (links) ist schlanker als die elektromechanische Variante mit Getriebe (rechts). (Bild: Freudenberg Sealing Technologies)

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Wie es um die Instandhaltung steht

Der Blick auf die Gesamtkosten spricht für die Hydrostatik, die laut Jörg Schlegel nahezu wartungsfrei ist. „Wir rechnen mit Standzeiten von 20 bis 30 Jahren. In dieser Zeit müssen mechanische Getriebe mindestens einmal ausgetauscht werden.“ Erfahrungswerte haben gezeigt, dass die Hydraulikflüssigkeit der hydrostatischen Lösung in der Regel seltener gewechselt werden braucht. Um eine sehr hohe Verfügbarkeit sicherzustellen, überwacht Freudenberg Sealing Technologies mithilfe der Antriebssteuerung wichtige Parameter wie Öltemperatur und Filterzustand. In einem anderen Anwendungsfall nutzt Freudenberg den datenbasierten Analysedienst Hägglunds CMp zur vorausschauenden Wartung.


Quelle: Bosch Rexroth

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