Mann am offenen Schaltschrank mit AR-Brille.

Reparatur im Schaltschrank mit AR-Brille. (Bild: Alle Wallstabe & Schneider)

Dichtungstechnik Wallstabe & Schneider aus dem bayerischen Niederwinkling, entwickelt und produziert seit mehr als 60 Jahren Elastomerdichtungen für die Automobilindustrie. Die Digitalisierung der Produktionsprozesse im Unternehmen nahm 2016 ihren Anfang. „Wir starteten fast bei null und setzen mittlerweile Maßstäbe in unserer Branche“, berichtet Technischer Geschäftsführer Kai Peters, der zusammen mit IT-Leiter Heinz Mühlbauer das Digitalisierungsprojekt initialisierte.

Individuelle Lösung war zielführend

Sehr wichtig war es den Verantwortlichen, von Beginn an Insellösungen zu vermeiden und einen ganzheitlichen Ansatz zu finden. Bei der Vielzahl an verschiedenen Maschinen, von der Spritzgießmaschine, über die Kältestrahlanlage bis hin zum Kontrollautomaten, wurde schnell klar, dass eine herkömmliche, auf dem Markt verfügbare Digitalisierungslösung nicht das Richtige wäre. Einzellösungen jedes Herstellers gab es sehr wohl, doch keine Möglichkeit einer Gesamtvernetzung des Maschinenparks. Deshalb entschied sich der Dichtungshersteller, zusammen mit dem Partnerunternehmen OCQ, einem IT-Dienstleister aus Deggendorf, eine speziell auf die Bedürfnisse des Unternehmens zugeschnittene Lösung zu entwerfen und umzusetzen. Die operative Verbesserung der Produktion war der Grundgedanke bei diesem Projekt und sehr schnell hatten die Verantwortlichen bei den Instandhaltungsprozessen die größte Hebelwirkung dafür identifiziert. Im ersten Schritt wurden diese Prozesse nach den Lean-Grundsätzen überarbeitet und gleichzeitig das Digitalisierungspotenzial ermittelt. Instandhaltungsleiter Christian Schauer betont: „Das Wichtigste ist, die Mitarbeiter von Beginn an mit ein zu beziehen. Die Leute akzeptieren die Neuerungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, viel leichter, wenn sie gut informiert sind und ihre Ideen einbringen können.“

Ein Mann in Werkshalle beim Beobachten des Monitors.
Elektroniker informiert sich am digitalen Hallenplan in der Elektrowerkstatt über seine nächsten Aufgaben. (Bild: Alle Wallstabe & Schneider)

Mehrwert des digitalen Hallenplans überzeugte

Das Unternehmen begann mit Digitalisierungsprojekten, die in relativ kurzer Zeit umzusetzen waren und die den Mitarbeitern unmittelbar einen Mehrwert brachten. Eines der ersten Projekte war der digitale Hallenplan: In den Instandhaltungswerkstätten hängt eine digitale Übersicht der Spritzgusshallen, auf der jede Maschine verzeichnet ist. Alle Spritzgießmaschinen sind an die Industrie-4.0-Datenbank angeschlossen und damit werden ihre Zustände auf den digitalen Hallenplänen farbig visualisiert. Die Maschinen melden 14 Tage im Voraus, wann ihr nächstes Wartungsintervall fällig ist, Störungsmeldungen kommen in Echtzeit bei den Instandhaltern an. Auch die Maschinenlaufzeiten sind über den Hallenplan abzulesen, so weiß der Instandhalter, wann die Maschine nicht im Einsatz ist und gewartet werden kann. Vor der Digitalisierungsoffensive wurden diese Informationen mit Zetteln an eine Magnettafel an der Spritzgussmaschine geheftet und die Elektriker und Mechaniker mussten regelmäßige Kontrollgänge vornehmen, um an die Informationen zu kommen. Im Störungsfall benachrichtigte der zuständige Maschinenbediener den Wartungstrupp telefonisch. Durch die digitale Lösung konnten die Stillstandszeiten wesentlich verkürzt werden und die Instandhaltungsmitarbeiter müssen sich die Informationen nicht mehr aufwendig besorgen, sondern sehen mit einem Blick, was zu tun ist. „Es kommt vor, dass der Maschinenbediener noch nicht gemerkt hat, dass eine seiner Maschinen auf Störung steht, da sind meine Leute schon dabei, den Schaden zu beheben“, erzählt Schauer. Künftig werden die Störungsmeldungen so konfiguriert, dass die Maschine angibt, ob sie einen Instandhalter benötigt, oder ob das Problem durch den Maschinenbediener selbst gelöst werden kann. Einfache Wartungstätigkeiten wie Trennmittelaufbringung oder Temperaturfühlertausch können so direkt durchgeführt werden, was unnötige Wartezeit erspart und die Instandhalter entlastet. Die positiven Erfahrungen mit der Digitalisierung im Unternehmen sprachen sich schnell herum. Mittlerweile kommen Mitarbeiter der unterschiedlichsten Abteilungen auf die IT zu und machen Vorschläge, welche Prozesse in ihren Augen noch Digitalisierungspotenzial hätten. Auch der Betriebsrat trägt die Digitalisierungsprojekte mit. Er wurde sehr früh mit einbezogen und regelmäßig über alle anstehenden Planungen informiert.

Ein Mann am offenen Schaltschrank beim Überprüfen.
Ein Instandhalter führt eine geplante Wartung aus. (Bild: Wallstabe & Schneider)

Auf vorausschauende Wartung umgestellt

Die Maschinendaten, die in der Indus-trie-4.0-Datenbank gesammelt werden, dienen auch als Grundlage, um die Wartungsintervalle zustandsbasiert zu gestalten, nicht mehr statisch, also nach einer bestimmten Anzahl von Betriebsstunden. Mittels Sensorikeinsatz werden verschiedene Messungen durchgeführt, um den tatsächlichen Ist-Zustand der Maschine zu erfassen. Ein Ersatzteilwechsel findet damit so spät wie möglich statt, aber noch bevor die Maschine ausfällt. Dieser Predictive-Maintenance-Ansatz wurde durch eine Masterarbeit wissenschaftlich begleitet und wird künftig in Kooperation mit einem Maschinenhersteller weiter vertieft und umgesetzt. Die an der Mustermaschine gewonnenen Daten können zukünftig auch auf andere Maschinen übertragen werden. Auch die standortübergreifende Zusammenarbeit profitiert von der Digitalisierung. Ein Beispiel dafür ist die Remote-Reparatur. Mittels einer AR-Brille, die ein Instandhalter an einem der Auslandsstandorte trägt, werden die Bilder zum Instandhaltungsverantwortlichen am Hauptsitz übertragen. So kann man die Störungsbehebung in Echtzeit mitverfolgen und anleiten. Erste Tests laufen auch bei Maschinenverlagerungen – hier kann der Aufbau am Auslandsstandort per „Direkt-Schalte“ begleitet werden.

Monitor mit farbigem Balken und Texten zur Überprüfung
Am digitalen Dashboard können die anstehenden Wartungsaufgaben eingesehen werden. (Bild: Wallstabe & Schneider)

Warum sich die Investition lohnt

Nötige Investitionen für die Digitalisierungsstrategie waren der Aufbau der Datenbank, die Schaffung von Schnittstellen, die Anschaffung der Hardware und die Umsetzung der Programmierung mit dem Softwarepartner. „Lässt man die IT-Infrastruktur außen vor hatten sich bei allen Projekten die Investitionen im Durchschnitt nach einem Jahr amortisiert“, berichtet Technischer Geschäftsführer Kai Peters. Die Overall Equipment Effectiveness (OEE) wurde um 4 Prozentpunkte verbessert und durch den Lean-Ansatz unnötige Wege reduziert, wodurch auch der Personaleinsatz effizienter gestaltet werden konnte, so Peters. Er sieht die Digitalisierung als entscheidenden Faktor zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und treibt sie abteilungsübergreifend voran.

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