Viele Betriebe führen eine vereinfachte Identitätsprüfung durch, welche die Dichteprüfung (Absicherung gegen mögl. Materialverwechselung) und die Härteprüfung umfasst. Zusätzlich zu Druckverformungsrestprüfungen können Zugversuche oder auch Kurzzeiteinlagerungen und Quellungen an O-Ringen als Qualifikationsprüfung Sinn machen. Wo vorhanden, werden auch FTIR-Analysen und/oder thermogravimetrische Analysen zur Identifizierung der Rezeptur eingesetzt.
Was sagen wichtige Normen zur O-Ring Prüfung?
In der Regel beziehen sich Prüfnormen mit Prüfvorschriften auf Normprobekörper, welche aus Prüfplatten hergestellt werden, um Werkstoffkennwerte möglichst gut reproduzierbar zu ermitteln. Jeder Dichtungsproduzent achtet bei der Herstellung von Prüfplatten auf höchste Qualität, damit die besten Mischungseigenschaften gemessen werden können. Fertigteile werden jedoch anders vulkanisiert und deren Vernetzungsgrad ist durch Datenblätter nicht definiert bzw. nicht verbindlich abgesichert. Wegweisend für die Fertigteilprüfung an O-Ringen war die Normung im „O-Ring-Land“ USA. Bereits im Jahr 1956 erschien die erste Ausgabe der ASTM D 1414 (aktuelle Ausgabe 2015). Diese Norm beschreibt wie die gängigen Prüfmethoden an O-Ringen durchgeführt werden sollen, definiert jedoch keine Sollwerte. Die ISO 3601-5 (2015-04) (Suitability of elastomeric materials for industrial applications) legt den Fokus nicht auf die Prüfmethoden, sondern auf Werkstoffe für O-Ringe und deren Eignung für Industrieanwendungen. Bei den Prüfmethoden zur Überprüfung der in dieser Norm geforderten Sollwerte, wird auf die oben beschriebene ASTM D 1414 und andere Standardnormen wie z.B. die ISO 48 (Härte) oder die ISO 815-1 (DVR) verwiesen.
Mögliche Ursachen für schlechte und/oder schwankende Qualitäten
Je nach Polymertyp können unterschiedliche Vernetzungssysteme verwendet werden, welche unterschiedliche Ansprüche an die Prozessführung in der Produktion stellen. So können Schwankungen im Vernetzungsgrad von schwefelvernetzten Werkstoffen (z.B. NBR, EPDM, CR) durch ein anschließendes Tempern ausgeglichen werden. Bei peroxidisch vernetzten NBR-, HNBR- und EPDM-Werkstoffen dagegen ist dies nicht bzw. nur sehr eingeschränkt möglich, weil diese Werkstoffe nicht ausreichend temperaturbeständig für eine effektive Nachvulkanisation durch Tempern sind.
Außerdem gibt es NBR-Qualitäten im Härtebreich von 70 ShA mit bis zu 20 Gew.-% Weichmachern. Solche Typen neigen dazu in der Anwendung zu schrumpfen, da der Weichmacher bspw. durch Hydraulik- oder paraffinisches Öl ausgewaschen werden kann. Während NBR-O-Ringe überwiegend schwefelvernetzt sind, findet man bei EPDM-Werkstoffen zum großen Teil ein peroxidisches Vernetzungssystem vor, weil eine Schwefelvernetzung die Gebrauchstemperatur von EPDM-O-Ringen erheblich einschränkt. Da man EPDM sehr gut mit mineralischen Weichmachern anquellen kann, und weil sogar bis zu 50% ölgestreckte EPDM-Polymertypen bezogen werden können, kann eine fertige Mischung mit so einem Polymer bis zu 30 Gew.-% Weichmacher enthalten und das bei einer Härte von 70 ShA. Solche Compounds zeigen ein hohes Langzeitsetzverhalten (erkennbar über den DVR) und sie können auch schrumpfen, da das Öl bspw. durch Silikonöl (z.B. in Sanitäranwendungen) oder Heißwasser herausgelöst werden kann und wärmebedingt ausgast. Hinzu kommt, dass eine Mischung mit einem hohen Weichmacheranteil in Kombination mit Peroxiden schwieriger zu vulkanisieren ist, da die Wirkung der Peroxide teilweise durch Weichmacher neutralisiert wird.
Außerdem kann bei peroxidisch vernetztem EPDM ein unzureichender Vulkanisationsgrad wie beim NBR nicht durch Nachtempern verbessert werden (siehe oben). Die Vulkanisation muss also vollständig im Werkzeug während der Verarbeitung erfolgen. Wird nun die Zykluszeit aus wirtschaftlichen Gründen reduziert, kann dies teuer mit hohen Qualitätseinbußen bezahlt werden. Eine unzureichende Vernetzung lässt sich sehr gut mit einer DVR-Prüfung nachweisen. Damit geht es bei DVR-Prüfungen an O-Ringen nicht primär darum, den Werkstoffkennwert der Rezeptur wiederzufinden, sondern den Fertigungsprozess beim Lieferanten zu beurteilen. Hilfreiche Richtwerte für O-Ringe aus peroxidisch vernetztem EPDM finden sich in den Forderungen der ISO 3601-5, die in ihren Sollwertvorgaben auch nach den Vernetzungssystemen unterscheidet. Fluorkautschuke (FKM) werden meist bisphenolisch vernetzt. Bezüglich des Vernetzungsgrades treten hier kaum Probleme auf. Außerdem ist bei FKM-Compounds die Rezepturgestaltung deutlich einfacher (z.B. keine Verwendung von Weichmachern), so dass die Anwendung dieses Werkstoffes deutlich unkritischer ist als bei EPDM. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass es bei hohen physikalischen Beanspruchungen, bspw. in Form von hohen Drücken oder einer abrasiven Beanspruchung, sehr wohl auf rezeptur- und verarbeitungsbedingte Unterschiede ankommen kann, ebenso auch beim Langzeitverhalten bei hohen Temperaturen.
Bei Silikonen (VMQ) gibt es öfter Qualitätsprobleme durch Härteschwankungen. Diese können durch Nachbearbeitungen von O-Ringen (Mullins-Effekt) ausgelöst werden. Hier ist im Einzelfall zu prüfen, ob sich dies für die Anwendung negativ auswirken kann. Ansonsten gehören VMQ-Werkstoffe eher zu den weniger kritischen Elastomeren bei O-Ringen.
Härteprüfung an O-Ringen
Die Shore A Härte als Werkstoffkennwert bezieht sich auf Prüfplatten, vorzugsweise mit einer Dicke von 6 mm. Soll dagegen die Härte direkt an O-Ringen definiert werden, bedarf dies einer zusätzlichen Prüfanforderung bzw. Sollwertvorgabe. Erfahrungsgemäß kann bei O-Ringen ab einer Schnurstärke von ca. 3 mm der Werkstoffkennwert der Rezeptur als Sollwert (+/-5) angesetzt werden. Üblich an O-Ringen ist allerdings die IRHD-Mikro Härte nach ISO 48 (Unterverfahren CM („Curved surface“ (= gekrümmte Oberfläche), „Micro“(-Indentor)). Dieses Härteprüfverfahren ist auf das Shore A-Verfahren so abgestimmt, dass der Sollwert der Härte des Werkstoffes für O-Ringe ab einer Schnurstärke von 1,6 mm auch als IRHD-CM- Sollwert (+/-5) angesetzt werden kann. Für kleinere Schnurstärken ist es üblich (ISO 3601-5), den Sollwerttoleranzbereich auf +5/-8 IRHD, CM-Härtegrade zu erweitern. Die Härteprüfung allein wird jedoch häufig überbewertet. Ihr werden Aussagen zugeschrieben, die sie nicht bzw. nur unzureichend leisten kann: So kann die Härtemessung z.B. nur vage Informationen über den Vernetzungsgrad einer Dichtung geben.
Wissenswerte Einflussfaktoren auf die Härteprüfung von O-Ringen
Bei der IRHD Mikrohärteprüfung dringt eine Kugel (= Indentor) mit einem Durchmesser von 0,4 mm mit einem definierten Gewicht in den Probekörper ein. Die Eindringtiefe ist ein Maß für die Härte. Der Indentor sollte mit dem höchsten Punkt des O-Ring Querschnittes in Kontakt kommen. Durch die gekrümmte Oberfläche kann die Kugel des Indentors leichter als bei einer ebenen oder konkaven Fläche eindringen, da sie weniger Material verdrängen muss. Da eine große Eindringtiefe einen weichen Werkstoff darstellt, zeigen O-Ringe eine geringere Härte als vergleichbare Prüfplatten, sie sind also scheinbar weicher.
Diesem Problem nimmt sich auch die DIN ISO 48 an, in dem sie eigene Verfahrensbezeichnungen für die Messung von gekrümmten Oberflächen einführt und von „scheinbaren Härten“ spricht. Für O-Ringe wird in der Regel das Unterverfahren CM verwendet. Deswegen ist es sehr wichtig mit dem Lieferanten nicht nur einen Härtewert an Prüfplatten, sondern auch an den fertigen O-Ringen festzulegen. Damit exakt und reproduzierbar jeweils am obersten Punkt des O-Ring Querschnittes gemessen wird, sollte v.a. bei kleinen Schnurstärken (z.B. < 2,62 mm) eine Zentriereinrichtung oder besser noch ein lasergeführter Tisch verwendet werden. Die Messung der Härte an O-Ringen ist empfehlenswert, sollte aber mit anderen Verfahren kombiniert werden, wie zum Beispiel Dichte- und DVR-Prüfung, nur so lassen sich gesicherte Aussagen zu einer Rezepturidentifikation und zur Qualität eines O-Rings treffen.
Druckverformungsrestprüfung an O-Ringen
In der Druckverformungsrestprüfung (DVR) wird ein Elastomerbauteil in der Regel um 25% verpresst und dann bei einer erhöhten Temperatur gelagert, typische Prüfzeiten liegen bei 24-2 und 72-2 Stunden. Nach der Entnahme aus dem Ofen und der Aufhebung der Verpressung wird die Höhendifferenz des Bauteils aus der Messung vor und nach der Prüfung ermittelt und in Beziehung zur Verformungshöhe gesetzt. Je mehr sich eine Dichtung „gesetzt“ hat, umso höher und damit schlechter ist das DVR-Ergebnis [%] dieser Dichtung. In der ISO 3601-5 wird als anzuwendende Prüfmethode die ISO 815-1 (Methode A) gefordert. „Die größte praktische Bedeutung der Druckverformungsrestprüfung liegt in der Fertigteilprüfung, ganz besonders bei O-Ringen. Dabei geht es nicht darum, den rezepturspezifischen Kennwert zu ermitteln wie er in Werkstoffdatenblättern zu finden ist, sondern eine Aussage über den Vulkanisationsgrad des Fertigteiles geben zu können.“
In Abhängigkeit der Prüftemperatur und der Zeit kann die Schnurstärke von O-Ringen einen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis haben. Tausende im O-Ring Prüflabor Richter durchgeführte DVR-Prüfungen haben gezeigt, dass bei 24 h Prüfzeit und bei einer angemessenen Prüftemperatur (= zulässige Dauertemperatur) der Einfluss der Schnurstärke nicht größer ist als andere zufällige Einflüsse (Messunsicherheit bei der Höhenmessung, Planizität der Prüfwerkzeugplatten, Temperatur- und Zeitschwankungen).
Weitere wichtige Einflüsse sind natürlich neben der Prüftemperatur und der Prüfzeit der Verformungsgrad (z.B. 25 %, 10 % oder 40 %) und die Art der Abkühlung (im entspannten Zustand = Verf. A oder im noch verformten Zustand = Verf. B)
Auf Grund immer steigender Qualitätsanforderungen – auch an das Massenprodukt O-Ring – ist es für Dichtungsanwender nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig die Qualität von O-Ringen klar zu definieren und angemessen zu überprüfen. Die ISO 3601-5 gibt hier in Bezug auf Sollwerte, wie auch auf Prüfmethoden eine gute Hilfestellung.
Die wohl am häufigsten durchgeführten physikalischen Prüfmethoden im Wareneingang sind die Messung von Dichte , Härte und Druckverformungsrest. Diese Prüfmethoden gelten als einfach und allgemein bekannt. Die Wichtigkeit und Aussagekraft der Druckverformungsrestprüfung als Fertigteilprüfung hingegen wird meist noch unterschätzt. Bei richtiger und konsequenter Umsetzung dieser Prüfverfahren kann der Anwender sicher sein, trotz globaler und wirtschaftlicher Beschaffung eine konstante Qualität zu erhalten. Dies entbindet ihn freilich nicht davon, die Eignung der eingesetzten Rezepturen angemessen zu prüfen und den Lieferanten prinzipiell bezüglich seiner Verarbeitungs- und Qualitätskompetenz zu überprüfen bzw. zu qualifizieren.