Elastomere bieten als Dichtungsmaterialien gegenüber anderen Polymermaterialien signifikante Vorteile. Diese basieren primär auf der vernetzten Molekularstruktur der zugrunde liegenden Kautschuke und den daraus resultierenden physikalischen Eigenschaften: Nach einer Dehnung oder Kompression streben die Polymerketten der Elastomere zurück in den energetisch günstigeren, ungeordneten Zustand (Bild 1). Diese Entropieelastizität mit Rückverformung macht Elastomere extrem flexibel und elastisch über ein großes Temperaturfenster. Im gummielastischen Bereich (Bild 2) erfüllt das Material seine Dichtfunktion sowohl statisch als auch dynamisch eingesetzt. Das unterscheidet Elastomere von unvernetzten Thermoplasten, die beim Erwärmen schmelzen und plastisch verformbar sind.
Aus diesen Materialien besteht die Rezeptur
Die Compounds bestehen aus mehreren Rohstoffgruppen. Die Elastomerentwickler steuern über die gezielte Zusammensetzung und damit komplexe Rezepturen, präzise Eigenschaften wie Elastizität, Härte, Beständigkeit gegen chemische Substanzen und thermische Stabilität. Dies ist entscheidend, um Dichtungen die erforderliche Funktionalität und Langlebigkeit zu verleihen, die wiederum Voraussetzung sind für akzeptable Wartungsintervalle.
Vollkommen frei sind die Entwickler dabei nicht. Zwar steht ihnen eine große Zahl von Rohstoffen zur Verfügung, doch Anwendung, Marktanforderungen oder rechtliche Rahmenbedingungen grenzen die Auswahl ein. Auch lässt sich keine Eigenschaft unabhängig von anderen optimieren, da sämtliche Inhaltsstoffe zusammenwirken. Die Werkstoffexperten halten daher die zentral wichtigen Eigenschaften des Compounds im Blick und gewichten die Faktoren entsprechend.
Die wichtigsten Inhaltsstoffe sind:
- Der Kautschuk bildet die Basis jeder Rezeptur. Die häufigsten sind Ethylenpropylen-Dien-Kautschuk (EPDM), Fluor-Kautschuk (FKM) oder hydrierter Acrylnitril-Butadien-Kautschuk (HNBR). Sie bestimmen grundlegende Eigenschaften wie Medienbeständigkeit und Alterungsverhalten.
- Vernetzungschemikalien bilden das Polymernetzwerk aus. Es beeinflusst die physikalischen Eigenschaften der Elastomere.
- Füllstoffe optimieren Eigenschaften wie Härte, Steifigkeit, Zug- und Weiterreißfestigkeit, maximale Dehnung und Verschleiß.
- Kleine Mengen von Verarbeitungshilfsmitteln verbessern die Prozessfähigkeit.
- Alterungsschutzmittel verlängern die Lebensdauer der Dichtung. Sie schützen das Material vor Schäden durch Oxidation, Hitze und Licht.
- Weitere Additive beeinflussen bei Bedarf spezifische Eigenschaften, etwa Tribologie, Farbe und antimikrobielle Wirkung.
Deshalb werden Vernetzungschemikalien benötigt
Viele Kautschukklassen lassen sich auf mehrere Arten vernetzen. Das Vernetzungssystem wird gewählt passend zum Kautschuk und zu den gewünschten Eigenschaften des elastomeren Bauteils. Dabei gelten viele Faktoren.
In erster Linie beeinflusst die eingesetzte Menge der Vernetzungschemikalien die Vernetzungsdichte. Diese wirkt sich entscheidend aus auf die Werkstoffeigenschaften (Bild 3): Mit zunehmender Vernetzungsdichte nehmen Steifigkeit (E-Modul) und Härte zu, während Bruchdehnung, und Druckverformungsrest (DVR, bleibende Verformung) abnehmen. Weiterreißwiderstand und Zugfestigkeit steigen nicht linear mit der Vernetzungsdichte, sondern durchlaufen ein Maximum, bevor sie wieder abfallen. Somit: In keinem Zustand durchlaufen alle Eigenschaften ihr Optimum. Die Vernetzungsdichte wird daher stets gezielt auf Anwendungsfall und Dichtungsprodukt abgestimmt. Sie hängt zudem ab von der Temperatur und der Dauer der Vulkanisation.
Eine hohe Vernetzungsdichte mit niedrigem Druckverformungsrest ist günstig für statisch belastete Dichtungen wie zum Beispiel O-Ringe. Ein niedriger Vernetzungsgrad hingegen ist für dynamisch belastete Dichtungen wie Membranen vorteilhaft.
Beständigkeit gegenüber Produkten und Reinigungsmedien
Anwenderwissen fließt ebenfalls in die Rezeptur. Denn kein Elastomer erfüllt sämtliche Anforderungen an Medienbeständigkeit und gleichermaßen an Wärme- und Kältebeständigkeit. Entscheidend für eine ausreichende Dichtwirkung ist daher die richtige Wahl der Kautschuktypen, passend zu den eingesetzten Umgebungsmedien und Temperaturbedingungen. Polymere Werkstoffe erreichen die beste Beständigkeit gegenüber Flüssigkeiten oder Gasen, wenn die Polarität von Medium und Elastomer sehr unterschiedlich ist. Beispiel: Unpolare Elastomere wie EPDM sind in unpolaren Medien, etwa Mineralöl, nicht beständig und quellen stark. Polare Werkstoffe wie HNBR hingegen können dort gut eingesetzt werden.
Auch müssen Elastomerdichtungen den eingesetzten Reinigungsmedien standhalten. Diese basieren meist auf Säuren oder Laugen, können das Material angreifen und werden außerdem bei hohen Temperaturen bis zu +80 °C eingesetzt. In einigen Anwendungen wird zusätzlich mit Heißdampf von bis zu +140 °C sterilisiert.
Ein typischer Ablauf des Reinigungsprozesses umfasst mehrere Schritte: Vorspülen, Reinigen mit alkalischen und sauren Reinigern, Sterilisation und abschließende Spülungen. Jeder Schritt kann physikalische und chemische Auswirkungen auf Dichtungen haben. Typische Veränderungen umfassen Quellung und Volumenzunahme durch Absorption, Volumenschrumpf durch Migration löslicher Bestandteile aus dem Gummi sowie Härtezunahme und Rissbildung durch chemische Veränderungen wie Nachvernetzung.
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Deshalb ist Hygienic Design wichtig
In der Lebensmittel- und Getränkeindustrie spielt Hygiene eine große Rolle. Sie spiegelt sich nicht nur in den beschriebenen Reinigungsprozessen wider, sondern auch in der Konstruktion der Maschinen und jedes einzelnen Bauteils. Ingenieure legen die äußere Form der Dichtung fest, damit diese für Produktion wie Reinigung zuverlässig abdichtet. Zentral dabei ist das Konzept des Hygienic Designs: Es erleichtert wesentlich die Reinigung und Sterilisation der Anlagen und minimiert somit die Risiken einer mikrobiellen Kontamination. Bild 4 zeigt dies deutlich: Die Standardauslegung ist schlecht zu reinigen, da sich das Produkt im Totraum ansammeln kann – eine potenzielle Nahrungsquelle für Bakterien. Bei einer hygienischen Auslegung, plan und ohne Spalten, finden weder Produktreste noch Mikroorganismen Raum.
Hygienic Design verschärft wiederum einige Materialanforderungen beispielsweise an Quellung, Abrasion und Abriebbeständigkeit. Zugleich ist einer Volumenzunahme des Dichtungsmaterials aufgrund von Temperatur oder chemischer Quellung meist eine engere Grenze gesetzt.
Die rechtlichen Anforderungen kennen
Ebenfalls gefragt sind die Juristen mit ihrem Fachwissen. Denn die in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie eingesetzten Elastomere sind nicht einfach nur Dichtungen. Als Lebensmittelkontaktmaterialien (Food Contact Materials, FCM) unterliegen sie strengen rechtlichen Anforderungen, um die Sicherheit und Unbedenklichkeit der Lebensmittel zu gewährleisten: FCM müssen ausreichend inert und frei von Verunreinigungen sein, um die menschliche Gesundheit nicht zu gefährden. Daher müssen die Werkstoffe spezifische Anforderungen an die Reinheit der verwendeten Rohstoffe erfüllen und dürfen keine gefährlichen, toxischen oder sonst bedenklichen Substanzen freisetzen. Regulierungsbehörden und Hersteller führen eine risikobasierte Materialbewertung durch und stellen sicher, dass Produkte mit langem oder umfangreichem Lebensmittelkontakt den strengen Anforderungen entsprechen.
Die Regelungen mit ihren Anforderungen und Testmethoden sind in vielen Fällen landesspezifisch und basieren auf lokalen Sicherheitsstandards und kulturellen Praktiken. Für den Dichtungshersteller ist daher eine gründliche Kenntnis der rechtlichen Vorschriften in verschiedenen Märkten entscheidend, um Konformität sicherzustellen und Risiken zu minimieren. So trägt er weltweit zu Lebensmittelsicherheit bei und damit, das Vertrauens der Verbraucher zu gewährleisten.
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Hohe Anforderungen in Abfüllanlagen
Ein exemplarisches Anwendungsfeld sind Abfüllanlagen in der Getränkeindustrie (Bild 5). Die dort eingesetzten Dichtungen haben direkten Kontakt mit den Getränken. Der Füllkopf (Bild 6) zeigt, wie wesentlich der Einsatz von vier beispielhaften Dichtungsprodukten mit unterschiedlichen Anforderungsprofilen für die sichere Anlagenfunktion ist. Ein oben aufsitzender Faltenbalg schützt die mechanischen Elemente im Innenraum der Abfüllanlage vor den umgebenden Medien. Damit der Balg lange funktioniert, muss das Elastomer eine hohe Biegewechselfestigkeit aufweisen. Die Designauslegung der Falten gewährleistet eine gute Reinigung. Es folgt die Membran. Sie dichtet innerhalb des Ventils ab und hat direkten Kontakt zum Produktmedium, dem abzufüllenden Getränk. Ebenso wie bei der darunter sitzenden Ventilsitzdichtung müssen neben einer totraumfreien Konstruktion der Dichtung auch die Materialien den Anforderungen der industriespezifischen rechtlichen Regularien entsprechen. Die Anpressdichtung ganz unten dichtet den Flaschenhals während des Befüllens ab. Für eine lange Lebensdauer muss das Material möglichst verschleißarm sein. Sämtliche Dichtungen und Materialen müssen zudem beständig sein gegenüber den Reinigungs- und Sterilisationsverfahren.
Dichtungen für die Lebensmittel- und Getränkeindustrie erfordern erhebliches Know-how. Chemiker, Ingenieure, Anwendungstechniker sowie Juristen bringen ihr Fachwissen in die Compoundentwicklung ein. In jeder Dichtung steckt somit eine komplexe interdisziplinäre Zusammenarbeit und zudem die Fähigkeit jedes Einzelnen, sich auf einer gemeinsamen Ebene mit den Kollegen zu verständigen: Die Kommunikation der Experten als Team mit dem gemeinsamen Ziel vor Augen ist essenziell, um einer anspruchsvollen Branche optimale Dichtungslösungen zu bieten.
Quelle: Freudenberg Sealing Technologies, Weinheim
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