Die aktuelle Situation birgt jedoch auch Potenzial für neue Lösungen, um die Zukunft der Mobilität zu gestalten. Für Automobilhersteller und -zulieferer gilt es jetzt, ihre Produkte und Leistungen an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Das Thema Abgasnachbehandlung ist hierbei von zentraler Bedeutung für OEMs und deren Zulieferer. Seit dem 1. September 2018 gilt für alle neu zugelassenen Fahrzeuge der von den Vereinten Nationen entwickelte weltweit harmonisierte Prüfzyklus (WLTC; Worldwide Harmonized Light Duty Vehicles Test Cycle) mit neuen Testprozeduren (WLTP; Worldwide Harmonized Light Vehicle Test Procedures). Zunehmend wird die Emissionsgesetzgebung verschärft, wie auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Ende Februar 2018 zum Thema Fahrverbote in Städten gezeigt hat [1]. Seit Anfang des Jahres 2019 wurde im Stadtgebiet Stuttgart ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge bis und mit Abgasnorm Euro 4 erteilt. Auch in Hamburg existieren vereinzelt Fahrverbote in Straßen für Dieselfahrzeuge, welche weniger als Abgasnorm Euro 6 einhalten [2]. Um dem Diesel weiterhin eine Zukunft zu garantieren und weitere mögliche Fahrverbote zu vermeiden, ist eine effiziente und verlässliche Abgasnachbehandlung zur Reduzierung von Stickoxidemissionen zwingend notwendig. Gleichzeitig ist bei Nutzfahrzeugen der Dieselantrieb noch unverzichtbar. Gerade in Ländern mit steigendem Transportaufkommen und nicht vorhandenem Schienennetz, wie zum Beispiel China, ist der Transport auf der Straße alternativlos.
SCR-Technologie: Verfahren zur Abgasnachbehandlung von Dieselfahrzeugen
Im Januar 2019 waren ca. 47,1 Mio. Pkw in Deutschland registriert, davon rund 15,2 Mio. Dieselfahrzeuge. Damit ist der Diesel nach Benzin die am zweithäufigsten vertretene Kraftstoffart in Deutschland [3]. Allerdings erfüllen nur etwa 2,7 Mio. aller registrierten Dieselfahrzeuge die Abgasnorm EU 6 [4]. Automobilhersteller und -zulieferer müssen sich den neuen Anforderungen im Hinblick auf die Reduktion von Emissionen stellen und neue Lösungen für die Mobilität der Zukunft entwickeln, insbesondere beim Thema Abgasnachbehandlung. Hierbei hat sich bei Dieselmotoren die SCR-Technologie (selektive katalytische Reduktion) als bislang effektivste Lösung erwiesen: Mit einer Stickoxid-Reduktionsrate von bis zu 90 Prozent unter optimalen Bedingungen [5] gilt sie als die derzeit wirkungsvollste und verlässlichste Technologie zur Reduktion und Neutralisierung von Stickoxiden in den Abgasen von Dieselmotoren.
Funktionsweise der Abgasnachbehandlung mit SCR-Technologie
Die SCR-Technologie kommt schon seit Jahren im Nutzfahrzeugbereich zum Einsatz und wird auf Basis von Euro 6 auch vermehrt bei Pkw eingesetzt. Dabei wird Adblue, eine Harnstofflösung auf Wasserbasis, als Ammoniakquelle für die selektive katalytische Reduktion genutzt. Bei diesem Prozess wird das Fluid, das in einem separaten Tank im Fahrzeug mitgeführt wird, zunächst dosiert in den Abgasstrom eingespritzt. Im nächsten Schritt reagiert die Lösung im heißen Abgas im SCR-Katalysator mit den toxischen Stickoxiden, die während des Verbrennungsprozesses im Dieselmotor entstanden sind. Bei dieser Umwandlung entstehen die harmlosen Bestandteile Stickstoff und Wasser. Um dies so präzise und sicher wie möglich zu gestalten, müssen die Pump- und Dosiermodule wie deren Förder- und Dichtungskomponenten sehr zuverlässig und resistent sein. Damit die Umwandlung der schädlichen Stickoxide in die Bestandteile Stickstoff und Wasser gelingen kann, muss das Adblue aus einem separaten Tankbehälter zum Abgassystem transportiert werden. In den Förder- und Dosiermodulen kommen komplexe Elastomerteile von Dätwyler zum Einsatz und sorgen für eine präzise Zuführung des Mediums Adblue. Zudem erfüllen sie sämtliche Dichtfunktionen innerhalb des SCR-Systems.
Hochpräzise und anwendungsspezifische Lösungen für jede Anforderung
Aufgrund der hohen Aggressivität des Mediums Adblue und der dynamischen Einsatzbedingungen müssen die Elastomerkomponenten sehr leistungsfähig sein. Zudem erfüllen sie höchste Kriterien hinsichtlich Toleranzen, Sauberkeit, Haftung und Temperaturbeständigkeit. Durch die zunehmende Komplexität und die steigenden Anforderungen an die SCR-Technologie ist anzunehmen, dass sich die Zahl der eingebauten Bauteile in den kommenden Jahren weiter erhöhen wird. Die Einspritzrate und -menge des Adblue wird sich in Zukunft noch weiter steigern, was eine zusätzliche Belastung für die Elastomerkomponenten bedeutet.
Die Robustheit der hochwertigen Werkstoffe auf Basis von Ethylen-Propylendien-Kautschuk (EPDM) und hydrierter Acrylnitril-Butadien-Kautschuk (HNBR) hat sich in der Praxis bei den Adblue Anwendungen bewährt: Denn die Komponenten müssen während des Einspritzvorganges eine hohe Chemikalienbeständigkeit aufweisen sowie hohen Druckverhältnissen standhalten. Andererseits gewähren die Materialeigenschaften von EPDM (bis zu -53 °C) und HNBR (bis zu -35 °C) auch eine zuverlässige Leistungsfähigkeit im Tieftemperaturbereich. Aufgrund seiner Beständigkeit gegen Kraftstoffe und Öle wird der Einsatz von HNBR hier vor allem im Nutzfahrzeugbereich bevorzugt, um Problemen bei Diesel-Fehlbetankungen entgegenzuwirken, die beim Einsatz von EPDM sonst bis zum nötigen Austausch des Systems führen könnten. Eine noch größere Herausforderung an die Materialien besteht zudem in den dynamischen Tieftemperaturanforderungen der eingesetzten Elastomermembranen im Bereich des Gefrierpunktes von Adblue von ca. -10 °C, um die Langlebigkeit der vergleichsweise hochfrequent laufenden Pumpen sicher zu gewährleisten. Hierzu müssen die Membranmaterialien schon während eines möglichen Auftauvorgangs in der Pumpe ihre volle Flexibilität erlangen, um die Funktionalität des Systems mit dem Start des Fahrzeuges zu gewährleisten. Hierbei ist erforderlich, dass die Materialien schon statisch sehr niedrige Glasübergangspunkte zeigen können.
Beim Kontakt mit der Harnstofflösung quellen die Elastomere nicht wesentlich auf und stellen damit die Funktionalität über das gesamte Temperaturspektrum hinweg sicher. Gleiches gilt für HNBR in Kontakt mit Dieselkraftstoff. Bei letzterem muss der beste Kompromiss zwischen Tieftemperatureigenschaften und Kraftstoffquellung im Compound eingestellt werden.
Auslegung von Mehrkomponenten-Systemen
Eine weitere anspruchsvolle Problemstellung besteht in der Auslegung von Komposite-Systemen, bei denen die Elastomere mit Metall- oder Kunststoffkomponenten gehaftet werden. Durch die Abspaltung von Ammoniak aus der Harnstofflösung, spätestens ab einer Temperatur von ca. 60 °C, können neben den Metallteilen vor allem auch die Haftsysteme von NH3 angegriffen werden und so zur Ablösungen der Elastomerkomponente vom Substrat führen. Hier ist neben der Auswahl der Haftmittel auch die richtige Art der Applikation des Haftsystems wichtig. Dafür kommen automatisierte Produktionsanlagen beispielsweise mit 2-Achs-Robotern zum Einsatz. Für die optimale Haftung werden neben chemischen Haftvermittlern auch physikalisch-chemische Oberflächenmodifizierungen, zum Beispiel mit Plasma, bis hin zur Direkthaftung angewendet. Um diese Technologien noch weiter für die Zukunft auszubauen, wird Dätwyler mit dem Aufbau eines Advanced Surface Center die Entwicklung mit neuesten Technologien und Analysemethoden vorantreiben.
Die applikations- und auftraggeberorientierte Entwicklung der Elastomerkomponenten auf Basis von EPDM und HNBR ist einer der wesentlichen Gründe, warum der Dichtungshersteller erfolgreich als Zulieferer für SCR-Systeme ist. Zudem bietet er eine globale Präsenz mit elf eigenen Produktionsstätten sowie modernen Fertigungstechnologien, die selbst bei Stückzahlen im Millionenbereich eine 100 %ige Kontrolle und fehlerfreie Qualität garantieren.
Die Zukunft der Mobilität mitgestalten
Das Unternehmen fokussiert sich auf die Weiterentwicklung seiner Elastomerkomponenten im Hinblick auf die stetig wachsenden Anforderungen, um die Automobilindustrie bei den neuen Herausforderungen und der Umstellung auf zukunftsfähige Mobilitätskonzepte zu unterstützen. Dabei spielen unter anderem die erhöhten Anforderungen bezüglich Qualität wie auch technische Sauberkeit eine wesentliche Rolle. Dafür hat das Unternehmen das Produktionskonzept „Lean and Clean“ entwickelt, bei welchem hochwertige Automobilkomponenten in spezieller Produktionsumgebung unter Berücksichtigung spezifischer Sauberkeitsanforderungen produziert werden.
[1] Bundesverwaltungsgericht, Pressemittelung zum Diesel-Fahrverbot. Online: https://www.bverwg.de/pm/2018/9 [Stand: 11.06.2019].
[2] ADAC, Dieselfahrverbot: Alle Fragen und Antworten. Online: https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/abgas-diesel-fahrverbote/fahrverbote/dieselfahrverbot-faq/ [Stand: 11.06.2019].
[3] Kraftfahrtbundesamt, Jahresbilanz des Fahrzeugbestands am 01. Januar 2019. Online: https://www.kba.de/DE/Statistik/Fahrzeuge/Bestand/b_jahresbilanz.html?nn=644526 [Stand: 08.06.2019].
[4] PwC, Experteninterview zum Urteil des Diesel-Fahrverbots. Online: https://www.pwc.de/de/automobilindustrie/das-urteil-zum-diesel-fahrverbot-beschleunigt-den-wandel.html [Stand: 10.06.2019].
[5] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Studie über Potenzial einer Hardwarenachrüstung. Online: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/K/hardware-nachruestung-generalisierende-studie.pdf?__blob=publicationFile [Stand: 10.06.2019].