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Beim Umstieg auf elektrische Antriebe ist die Reichweite der Fahrzeuge ein entscheidender Erfolgsfaktor. Die Eigenschaften der Reifen gehören zu den Einflussgrößen auf die Reichweite in der Elektromobilität. (Bild: Aleksandar Kamasi/Adobe-Stock, elektronik-zeit/Adobe-Stock)

Anspruchsvoll ist wohl das angemessene Wort, um die Anforderungen an Reifen für elektrisch betriebene Fahrzeuge in einem Wort zu beschreiben. Ein Schlüsselfaktor für den Erfolg der E-Mobile ist deren Reichweite und diese wird in nicht unerheblichem Maße von den Reifen beeinflusst. Je geringer der Rollwiderstand der Reifen, desto weniger Energiebedarf pro gefahrenen Kilometer und um so höher die Reichweite. Der Rollwiderstand lässt sich unter anderem mit einer optimierten Kautschukmischung reduzieren.

Vom systematischen Nachteil zur optimalen Mischung für den Einsatz in der Elektromobilität

Die Eigenschaften von Reifen bewegen sich seit jeher in einem Dreieck aus niedrigem Rollwiderstand, optimierter Nasshaftung und hoher Abriebbeständigkeit. Eigenschaften, die sich gegenseitig beeinflussen und nicht gleichzeitig in alle Richtungen in einer Kautschukmischung optimiert werden können. Zwar weichen die Anforderungen an Reifen für E-Fahrzeuge nicht grundsätzlich von denen für herkömmliche Antriebe ab. „Kurze Bremswege, präzises Handling, sichere Fahreigenschaften auf nasser und trockener Fahrbahn, niedriger Rollwiderstand, hohe Laufleistung sind auch hier wichtig und die Maßnahmen sind die gleichen wie bisher“, so Andreas Schlenke aus der Reifenentwicklung von Continental. Doch für den Einsatz an elektrisch betriebenen Fahrzeugen spitzen sich die Anforderungen weiter zu. „Aufgrund der höheren Antriebsmomente und aufgrund höherer Fahrzeuggewichte ergibt sich ein systematischer Nachteil in Bezug auf Reifenverschleiß bei E-Fahrzeugen im Vergleich zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren“, erklärt Schlenke.

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Sandra Hofmann, Technologie- undInnovationsdirektorin für Synthesekautschuk, Trinseo

„Innovative S-SBR Lösungen können ein ausgewogenes Verhältnis von Nasshaftung, Rollwiderstand und Abriebfestigkeit herstellen.“

Ein möglichst niedriger Rollwiderstand ist ein Ziel, gleichzeitig steigen die Sicherheitsanforderungen hinsichtlich der Nasshaftung und der Anspruch an die Lebensdauer der Reifen für eine nachhaltige Verkehrstechnologie wächst.

Faktoren für geringen Rollwiderstand

Die Reifenentwicklung für Gabelstapler sieht Martin Welzhofer, Head of R&D Commercial Specialty Tires, Continental, Hannover, als Vorreiter der Elektromobilität auf der Straße: „In puncto Innovationen und Technologien sind Gabelstapler Autos immer eine Nasenlänge voraus. Heutzutage fahren die meisten Gabelstapler bereits batterieelektrisch. Das stellt auch an uns als Reifenhersteller große Anforderungen. Staplerreifen müssen widerstandsfähig, hitzebeständig und haltbar sein, ihr Rollwiderstand gerade in einer elektrifizierten Welt so niedrig wie möglich. Vibrationen sollen möglichst auf ein Minimum reduziert werden.“

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Saburo Miyabe, Chief Engineer beiGoodyear in Deutschland

„E-Mobile stellen ganz spezielle Anforderungen an Reifen.“

Der Rollwiderstand eines Reifens hängt einerseits von der Kautschukmischung und andererseits von der Konstruktion des Reifens. In der Kautschukmischung sind es die Verkettungen der Polymere, sowie die eingesetzten Füllstoffe, die Einfluss auf die Reibung des Reifens auf der Straße haben. „Das Gleichgewicht zwischen Rollwiderstandkoeffizient, Grip und Verschleißverhalten muss weiter optimiert werden. Funktionalisierte Polymere und Glasübergangstemperatur des Polymers, Füllstofftyp sowie die verwendeten Silane spielen eine Rolle, ebenso wie korrekte Mischprotokolle und einfache Compound Downstream-Verarbeitung“, fasst Frank Lückgen, Director Global Marketing Tires im Geschäftsbereich Tire & Specialty Rubbers bei Arlanxeo, die wesentlichen Aspekte einer Mischungsoptimierung zusammen. „Mit unseren Kautschuktypen können wir die Glasübergangstemperatur und die Mikrostruktur beeinflussen, den Rollwiderstandskoefffizienten (RRc), Grip und Steifigkeit beeinflussen. Zusätzlich können wir die Wechselwirkungen zwischen Polymer und Füllstoff verbessern, indem wir funktionelle Gruppen auf das Polymer anwenden. Das Molekulargewicht beeinflusst den Verschleiß und RRc, aber man muss die Verarbeitbarkeit im Auge behalten. Wir können dies durch kontrollierte Verzweigungs- und Modifikationsgrade, sogenanntes Molecular Engineering beeinflussen.“

„Grundsätzlich weichen die Anforderungen an Reifen für E-Fahrzeuge also nicht von denen für herkömmliche Antriebe ab.“

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Andreas Schlenke, Reifenentwicklung beiContinental

Auch der Synthesekautschuk-Hersteller Trinseo beschäftigt sich mit der Optimierung der Rohstoffe und setzt dazu unter anderem auf die anionische Polymerisationstechnologie. „Damit lässt sich das Polymerdesign gezielt variieren, um die entscheidenden Leistungseigenschaften von Reifen zu kontrollieren“, so Sandra Hofmann, Technologie- und Innovationsdirektorin für Synthesekautschuk bei Trinseo. „Um unsere Kunden hier aber noch besser zu unterstützen, hat Trinseo im letzten Jahr eine neue S-SBR-Pilotanlage in Betrieb genommen und die Produktionskapazität im Werk Schkopau erweitert. Die neue Anlage wird einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Markteinführungszeit für neue Reifen zu verkürzen.“
Eine rollwiderstandsoptimierte Mischung kann wertvolle Energie sparen und damit die Reichweite der elektrischen Fahrzeuge erhöhen. Continental Commercial Specialty Tires hat im Spezialreifensegment dafür unter anderem die Plus-Mischung entwickelt, denn gerade bei Vollgummireifen ist die Gummimischung ein entscheidender Qualitätsfaktor, wie Welzhofer von Continental berichtet: „Ziel unserer neuen Entwicklung war es, eine Polymer-Matrix mit möglichst vielen kurzkettigen Schwefelverbindungen zu erzeugen. Sie fungieren, vereinfacht ausgedrückt, als dauerelastischer Klebstoff zwischen den einzelnen Polymerketten des Naturkautschuks und ermöglichen so die Produktion einer elastischen und gleichzeitig äußerst stabilen Gummimischung. Je mehr dieser Schwefelverbindungen erzeugt werden können, umso zäher und widerstandsfähiger wird der fertige Reifen. In diese Matrix werden zusätzlich stabilisierende feste Bestandteile als Verschleißminderer und Silika als Riss-Stopper eingebunden. Das Ergebnis ist eine nochmals widerstandsfähigere und sehr schnittfeste Gummimischung“, erläutert der Continental-Forschungsleiter Welzhofer. Gleichzeitig sorge die Stabilität dieser Gummimischung dafür, dass der Reifen weniger walkt. „Das verringert den Temperaturaufbau im Inneren des Reifens und minimiert dadurch den Rollwiderstand – für ein hohes Maß an Energieeffizienz.“

„Eine rollwiderstands-optimierte Mischung kann wertvolle Energie sparen.“

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Martin Welzhofer, Head of R&D Commercial Specialty Tires, Continental

Abrieb- und Schall-Reduktion im Fokus

Doch das starke Drehmoment der Elektromotoren erhöht den Abrieb des Reifenkautschuks, wie Hofmann von Trinseo anmerkt: „Die Reifen halten nur 25.000 statt 40. bis 50.000 Kilometer – ein Problem, das Reifenhersteller und deren Materiallieferanten noch lösen müssen.“ Auch die Tests in der Good-year-Entwicklung bestätigten dies. „Herkömmliche Pkw-Reifen können an Elektroautos um bis zu 30 Prozent schneller verschleißen. Grund hierfür ist das kraftvolle und direkte Drehmoment von Elektromotoren und das höhere Gewicht des Fahrzeugs durch den Akku. Unser Efficient Grip Performance mit Electric Drive Technology, der schon dieses Jahr auf europäischen Straßen rollen wird, setzt hier an“, so Saburo Miyabe, Chefingenieur bei Goodyear in Deutschland.

Neben der Kautschukmischung sind es Aspekte wie Aerodynamik und Laufflächendesign, welche für den Einsatz an E-Mobilen optimiert werden. Miyabe erläutert dazu die Entwicklung bei Goodyear: „Die schmalen Lamellen in der Lauffläche sorgen dafür, dass mehr Gummi in Kontakt mit der Straße kommt, als es mit herkömmlichen Querrillen der Fall ist. Dadurch werden die höheren Drehmomente besser ausgeglichen und die guten Eigenschaften auf nasser Fahrbahn beibehalten. Das Profildesign verhindert zudem, dass Schallwellen in den Rillen entstehen. Dadurch werden Reifengeräusche im Innen- und Außenbereich verringert.“

Letzteres ist ein weiteres sehr wichtiges Ziel der Reifenentwicklung, denn bei geringer Geschwindigkeit sind Elektrofahrzeuge wesentlich leiser unterwegs als Autos mit Verbrennungsmotor. „Die Geräuschanforderungen ändern sich, da die Geräuschemission des Gesamtfahrzeuges durch das fehlende Motorgeräusch sinkt und wir zur Zeit erwarten, dass ein Autofahrer dann nicht das Reifengeräusch hören möchte“, so Schlenke von Continental. Und nicht nur im PKW-Segment, sondern auch und besonders wichtig ist dieser Aspekt im öffentlichen Verkehr mit Bussen. “Reifenhersteller müssen daher mehr Aufwand betreiben, um leisere Reifen zu entwickeln“, meint Hofmann vom Synthesekautschukanbieter Trinseo.

„Funktionalisierte Polymere und Glasübergangs­temperatur, Füllstofftyp und Füllstoffart sowie die verwendeten Silane spielen eine Rolle für die optimalen Kautschuk- mischungen.“

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Frank Lückgen, , Director Global MarketingTires im Geschäftsbereich Tire & Specialty Rubbers, Arlanxeo

Auch das hohe Gewicht der Akkus in elektrisch betriebenen Fahrzeugen ist ein Punkt im Anforderungskatalog für die E-Mobil-Reifen. „Hier muss man bedenken: je höher das Gewicht, desto stärker der Reifenabrieb, desto geringer die Reichweite und Lebensdauer der Reifen. Das betrifft vor allem Nutzfahrzeuge wie Busse und LKW im städtischen Lieferverkehr ebenso wie die immer beliebter werdenden SUV. Das ständige Anfahren und Anhalten im Stadtverkehr beansprucht deren Reifen stark und unregelmäßig. Bei diesen Fahrzeugen sind die Traglasten höher, und damit auch der Reifenabrieb. Bei Busreifen ist zu beachten, dass sie eine starke Traktions- und Bremsleistung bieten müssen. Außerdem brauchen sie verstärkte Seitenwände, da sie ständig mit Bordsteinkarten in Kontakt geraten“, erläutert Hofmann.

Miyabe beschreibt die Entwicklung von Goodyear dazu: „Deshalb haben wir die Reifenhüllkurve verbessert, um die Aufstandsfläche trotz des erhöhten Gewichts optimal zu halten. Der Reifen behält dabei seine gute Performance.“ Und nicht zuletzt spielt die Aerodynamik eine wichtige Rolle beim Reifen-Design. „Die Seitenwand des Efficient Grip Performance mit Electric Drive Technology ist so gestaltet, dass der aerodynamische Luftwiderstand verringert wird. Seine Projektionsfläche, also seine Silhouette, ist soweit optimiert, dass weniger Energie beim Vortrieb verbraucht wird. Das Ergebnis: Die Reichweite des E-Mobils erhöht sich.“

Sensorik für mehr Sicherheit

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Ein geringer Rollwiderstand ist einer der Schlüsselfaktoren für Reifen in der Elektromobilität.(Bildquelle: Goodyear-Dunlop)

Zur aktuellen Mobilitätsentwicklung gehören neben den alternativen Antriebstechnologien auch das digital vernetzte und schließlich autonome Fahren. Reifen können hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Ein einfaches Beispiel dafür sind die bereits in vielen konventionellen Fahrzeugen eingesetzten Luftdrucksensoren. Diese Luftdrucksensoren haben einen Einfluss auf die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit, insbesondere im Nutzfahrzeuge-Segment. Am Beispiel von Goodyear Proactive Solutions, einem Portfolio digitaler Lösungen, das auch ein prädiktiv arbeitendes Reifendruckkontrollsystem enthält, erklärt Miyabe von Goodyear den Nutzen: „Wir können so Reifenpannen im Vorhinein verhindern. Ein Sensor auf der Felge erhebt kontinuierlich Daten zum Zustand der Pneus, die über einen On-Board Router an die Goodyear Cloud übermittelt und mit unserer G-Predict-Technologie analysiert werden.

Hierhinter verbergen sich eine Reihe intelligenter, prädiktiv arbeitender Algorithmen, die Goodyear selbst entwickelt hat. Unsere digitale Lösung zeitigt hervorragende Ergebnisse: Durch das Echtzeit-Monitoring der Reifen und die intelligente Analyse der Daten verhindern wir durchschnittlich 85 Prozent der Fahrzeugausfälle, die auf Reifenprobleme zurückzuführen sind.“ Das steigere natürlich die wirtschaftlichen Kennzahlen einer Nutzfahrzeugflotte enorm, so der Goodyear-Experte.

„Aber so ein System trägt eben auch dazu bei, die Gefahr, die ein Reifenplatzer für den Fahrer selbst, aber auch für andere Verkehrsteilnehmer bedeuten kann, zu minimieren. Langfristig generieren solche Technologien auch makroökonomisch einen sehr positiven Effekt, da mit jedem Unfall gegebenenfalls ein Stau vermieden wird.“ Doch in der Sensorik liegt noch viel Entwicklungspotenzial, wie der Goodyear-Reifenexperte Miyabe erläutert: „Als einzige physische Schnittstelle zur Fahrbahn muss der Pneu bei voll autonom fahrenden Autos die Straße lesen können, etwa mittels hochmoderner Sensorik, um in Zukunft zum Beispiel Aquaplaning-Gefahr oder Glätte zu erkennen. Diese Informationen gibt er an das Fahrzeug weiter. Für diese Art des Informationsaustauschs spielt natürlich Konnektivität eine zentrale Rolle.“

Smarte Reifen unterstützen Trends im Mobilitätsmarkt

Hofmann erwartet, dass ein smarter Reifen weitere Daten erfassen und weiterleiten wird: „Zum Beispiel die Eigenfrequenz und damit den Verschleißzustand des Reifens, das Grip-Level und Abriebbild sowie die momentane Größe der Aufstellfläche. Ein Reifenhersteller arbeitet sogar schon an einer Kombination aus Rad, Reifen und Bremse, die zusammen leichter sein sollen, als jedes andere Modell, das zurzeit auf den Straßen unterwegs ist.“ Miyabe sieht neben den elektrischen Antrieben in der Zunahme von gemeinschaftlich genutzten Flotten – etwa durch Carsharing-Dienste –, die mit der Abnahme von privat genutzten Pkw einhergeht, ein erhebliches Potenzial für die smarten Reifen. „Wenn nun auch immer mehr Pkw-Flotten gemeinschaftlich genutzt und von einem professionellen Flottenbetreiber gemanagt werden, werden auch hier Lösungen für ein effizientes und proaktives Reifenmanagement gefragt sein.“

Rubber & Mobility Summit – Save the Date: 4. Juli 2019 in München

Autobahnschild `Elektromobilität`

Die Automobilindustrie muss nicht nur an der Technik für E-Mobility arbeiten, sondern auch an der Kommunikation darüber.Bildquelle: Ben Chams – fotolia.com

Die Zukunft fährt elektrisch – der Bedarf an Produkten für eine neue Mobilität steigt und damit auch der Innovationsdruck. Der Wandel in der Automobiltechnik, wie auch im Lastverkehr und im öffentlichen Personenverkehr per Bahn und Bus hat Tempo aufgenommen. Auf dem Rubber & Mobility Summit 2019 am 4. Juli 2019 in München gehen wir der Frage nach, wie sich die Kautschuk und Elastomere verarbeitende Industrie mit neuen Produkten für neue Mobilitätslösungen positionieren kann.

Mit Tempo dem Wandel begegnen – Kautschuk, Silikon und TPE in modernen Mobilitätslösungen

Zum Themenkatalog der Tagung gehören:

  • Neue Mobilität und die Auswirkungen auf Elastomer-Bauteile
  • Elastomere in der Batterie- und Brennstoffzellentechnik
  • Dämpfungstechnik in elektrischen Fahrzeugen
  • Kühlkonzepte und Flüssigkeitstransport in der elektrischen Antriebstechnik
  • Richtlinien für Bauteile in der elektrischen Antriebstechnik
  • Kautschuk im Leichtbau
  • Fertigung von Komponenten aus Elastomeren und Material-Verbunden
  • Elektrisches Fahren und Reifentechnologie
    www.rubber-mobility-summit.com

Dr. Etwina Gandert

Redakteurin KGK

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