Der Spritzgießer kennt das: Einerseits sorgen wechselnde Umgebungsbedingungen, plötzliche Änderungen der Materialeigenschaften und zunehmender Verschleiß von Werkzeug und Maschine für ständig neue Randbedingungen. Dazu kommen gar nicht so seltene Probleme bei Materialzufuhr und Automatisierung, die zu kurzen Unterbrechungen der Produktion führen. Diese stören das thermische Gleichgewicht in Massezylinder und Werkzeug. Andererseits wird in modernen Spritzgießmaschinen vieles geregelt, beispielsweise Achsenbewegungen, Temperaturen und Drücke. Darüber hinaus sorgen zunehmend auch bei der Werkzeugtemperierung intelligente Wasserverteiler für geregelte Verhältnisse. Neuerdings kümmern sich moderne Prozessregler wie IQ Weight Control sogar darum, dass das Einspritzvolumen konstant bleibt. Tatsache ist, dass viele, aber eben nicht alle Veränderungen ausgeregelt werden können. Wenn „nicht regelbare“ Prozessveränderungen auftreten, werden sie oft zu spät oder gar nicht erkannt – die Produktion von Ausschuss ist vorprogrammiert. Die Suche nach den Ursachen ist zeitraubend und erfordert Experten. Experten mit Prozesswissen und Erfahrung sind jedoch Mangelware.
Das Prinzip der Prozessüberwachungsplattform
- Alles überwachen: Alle relevanten Parameter aus allen verfügbaren Sensoren werden hinsichtlich Veränderung oder Abweichung vom Referenzzustand beurteilt und mit den Farben grün (okay) oder gelb (nicht okay) gekennzeichnet.
- Mit der Vogelperspektive beginnen: Die Parameter werden in logische Gruppen zusammengefasst, damit sich der Benutzer nicht immer mit jedem einzelnen befassen muss, sondern einen übergeordneten Blick erhält.
- Eine Geschichte erzählen: Der Verlauf der Beurteilung wird entlang der vergangenen Zyklen dargestellt, um dem Benutzer die zeitliche Abfolge des Auftretens von Veränderungen zu zeigen.
- Nach dem Wesentlichen filtern: Gezeigt wird nur das, was sich verändert hat, um den Blick des Benutzers auf das Wesentliche zu richten.
- Zusatzinformationen mitgeben: Es wird alles dargestellt, was als Erklärung für Veränderungen dienen könnte, also auch die vom Benutzer bewusst durchgeführten Sollwertänderungen oder Produktionsunterbrechungen.
Prozessveränderungen erkennen – Ausschuss vorbeugen
Hundertprozentige Qualitätskontrolle ist teuer und deshalb nur für spezielle Anwendungen sinnvoll. Daher empfiehlt es sich im Allgemeinen, stattdessen den Prozess zu überwachen. Ein stabiler, sich nicht verändernder Prozess ist kein Garant, aber gleichermaßen Indiz und Voraussetzung für eine gleichbleibende Teilequalität. Doch wann ist ein Prozess stabil? Bisher war es üblich, bestimmte Prozessparameter auszuwählen, diese mit Toleranzen zu versehen und zu überwachen. Doch so einfach ist das nicht: Während es für die Qualität von Bauteilen klar definierte Spezifikationen und Toleranzen gibt, erfolgt bei der Prozessüberwachung die Auswahl der Parameter und das Fest-legen von Toleranzen meistens subjektiv auf Basis von Erfahrung. Hier sind also wieder der Experte und Zeit gefragt, wobei unterschiedliche Experten für gewöhnlich zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Datenanalyse – Ersatz oder Hilfe für den Experten?
Nun schafft ein bodenständiger und auf den ersten Blick ein wenig paranoid scheinender Daten-Analyse-Ansatz Abhilfe. Er lautet so: Man nehme alle relevanten Parameter, derer man habhaft werden kann, und überwache sie. Lieber alles überwachen, als etwas Wichtiges übersehen. Dadurch erhält man einen ganzheitlichen Blick auf den Prozess, eine Art Fingerabdruck also. „Alle relevanten Parameter“ können allerdings sehr, sehr viele sein, daher wirft der Ansatz zwei Problemstellungen auf:
1.) Der Aufwand zum Einstellen von Überwachungsgrenzen steigt mit der Zahl der überwachten Parameter.
2.) Der Aufwand zum Interpretieren der Ergebnisse steigt ebenso. IQ Process Observer von Engel beseitigt diese Probleme: Obwohl hunderte Parameter überwacht werden, geht der Einstellaufwand für den Benutzer gegen Null:
• Die verfügbaren Parameter sind werksseitig vorkonfiguriert. Die tatsächlich installierte Anlagenausrüstung ist dabei bereits berücksichtigt.
• Zur Laufzeit erkennt die Software, welche Zonen der Zylinder- oder Werkzeugheizung oder wie viele Punkte aus einem Geschwindigkeitsprofil gerade tatsächlich zum Einsatz kommen und daher wert sind, überwacht zu werden.
• Toleranzgrenzen werden auf Basis des aktuellen Prozesses automatisch erlernt. Der Lernvorgang wird jedoch vom „eingebauten Expertenwissen“ überwacht und wenn nötig so korrigiert, dass es auf Basis von aktuell vorliegenden sehr kleinen oder sehr großen Streuungen einzelner Parameter nicht zu unbrauchbar engen oder weiten Toleranzen kommt.
Nun zur Interpretation der Ergebnisse: Nehmen wir an, es würden sich zeitgleich 40 Parameter verändern. Wie soll der Benutzer am besten darüber informiert werden? Soll er 40 Benachrichtigungen auf sein Smartphone bekommen oder nur eine Liste mit den Namen der 40 veränderten Parameter? Zeigt man ihm etwa gleich die zeitlichen Verläufe der 40 Parameter als Kurven, damit er sofort alle Informationen verfügbar hat?
Weder noch, denn durch zu viele Details geht schnell der Blick auf das Wesentliche verloren. Der IQ Process Observer stellt die Ergebnisse der Überwachung dem Spritzgießer zunächst aus der Vogelperspektive dar, als eine Art „Executive Summary“. Für jeden der vier Prozessschritte Plastifizieren, Einspritzen, Kühlen und Entformen bringen Ampelsymbole den aktuellen Zustand auf den Punkt. Alles grün bedeutet, alles ist okay. Eine gelbe Ampel zeigt hingegen, dass es aktuell Veränderungen oder Abweichungen vom Referenzzustand gibt. Wenn der Anlagenverantwortliche eine gelbe Ampel sieht, will er wissen: Was genau weicht ab? Wie kam es dazu? Ein Klick auf die Ampel führt zur Detailansicht, in der der Verlauf des Geschehens entlang der letzten Zyklen dargestellt ist. Dargestellt ist jedoch nur, was im Moment relevant ist.
Das System macht das, was auch ein Prozesstechniker bei einer Problemanalyse machen würde, nämlich Daten so aufbereiten, dass man aus ihnen etwas herauslesen kann. Diese Tätigkeit kann allerdings sehr zeitraubend sein. Die Software macht das naturgemäß wesentlich schneller und lückenlos nach jedem Schuss. Der Prozesstechniker kann sich voll und ganz auf die Interpretation der Story konzentrieren, die ihm sein zuverlässiger Spritzgießassistent erzählt, und sich über mögliche Problemlösungen Gedanken machen. Das Problem zu erkennen, ist wichtiger, als die Lösung zu erkennen, denn die genaue Darstellung des Problems führt zur Lösung – so sagte es bereits Albert Einstein.
Der Observer spricht Klartext
Hersteller von Spritzgießmaschinen entwickeln immer mehr Lösungen, die einen konstanteren oder besser eingestellten Prozess zum Ziel haben. Auf den ersten Blick drängt sich also die Frage auf: Wozu wird noch eine Überwachungslösung wie der IQ Process Observer benötigt? Die Antwort lautet: Alle diese Assistenzsysteme – bei Engel „IQ Produkte“ genannt – ergänzen sich und wachsen mit dem IQ Process Observer zusammen. Optionale Sensoren vervollständigen das Bild, das die Plattform vom Prozess liefern kann. Das Grundprinzip des Systems besteht also darin, dem Benutzer die Daten so zu visualisieren, dass er diese bestmöglich interpretieren und Schlüsse und Aktionen daraus ableiten kann. Die Software geht aber noch einen Schritt weiter und greift dem Benutzer etwas unter die Arme, wenn er vielleicht nicht gleich Lösungsmöglichkeiten erkennt: In jedem Zyklus wird geprüft, ob aus dem aktuellen Beobachtungsbild bestimmte bekannte Fehlerbilder oder Optimierungsmöglichkeiten erkannt werden können und ob es ratsam wäre, eine Maßnahme zu setzen. Wenn ein solcher Zustand erkannt wird, wird dem Benutzer Hilfestellung angeboten. Durch einen Klick erhält der Benutzer Hinweise auf die Ursache oder Vorschläge zur Prozessoptimierung beziehungsweise zum Beheben des Problems.
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Ein „lebendes“ Produkt
Das Entwicklerteam beim österreichischen Spritzgießmaschinenbauer hat es sich zum Ziel gesetzt, den IQ Process Observer kontinuierlich weiterzuentwickeln. So werden unter anderem die Prozesshinweise laufend um neue Fehlerbilder und Optimierungsvorschläge erweitert, sodass das Produkt im Laufe der Zeit wächst und immer mächtiger wird. Aus diesem Grund wurde besonderes Augenmerk auf die einfache Updatebarkeit der Software gelegt. Die Berechnungen erfolgen in einer eigenen Hardware, dem Edge-Device des Herstellers. Damit wird die Rechenlast für die Datenanalyse von der Steuerung der Maschine ferngehalten. Die Berechnungsergebnisse werden an die Maschinensteuerung zurückgegeben und dort visualisiert. Der Observer nutzt die moderne und sichere IoT-Infrastruktur des Edge-
Devices. Mit Hilfe einer Verbindung zum Internet sucht das Edge-Device – nach Freigabe durch den Benutzer – automatisch nach verfügbaren Updates. Ohne gesonderte Freigabe verlassen selbstverständlich keine Daten die Maschine oder das Edge-Device. Der Schritt zur Konnektivität ist oft kein einfacher. Teilweise sind auch die Voraussetzungen – beispielsweise ein Netzwerkkabel zur Anlage hin – noch nicht gegeben. Viele Unternehmen haben Bedenken und Fragen hinsichtlich Security. Hier steht Engel den Anwendern mit Rat und Tat zur Seite. Der Nutzen, der aus dem Vernetzen von Anlagen gezogen werden kann, steigt Jahr für Jahr, was die notwendigen Investitionen sehr schnell amortisiert. Konnektivität bildet die Basis für zukünftige Produkte. Auch beim IQ Process Observer hat die Vernetzung enorme Vorteile für den Benutzer, die über die einfache Update-Möglichkeit weit hinausgehen. Die Plattform wird in Zukunft auch als Webversion verfügbar sein. Hier hat der Benutzer nicht nur die einzelne Maschine im Blick – sondern alle Maschinen sind mit allen notwendigen Informationen übersichtlich dargestellt.