Dr. Martin Issel zum Thema PFAS Broad Restriction Proposal, Vorschlag zum Verbot aller perfluorierten, organischen Substanzen.

Dr. H.-Martin Issel ist Managing Director bei Unimatec Chemicals Europe in Weinheim und Vorsitzender des Vorstands der Deutschen Kautschuk Gesellschaft in Frankfurt. (Bild: Unimatec)

Die Definition von PFAS (per- und polyfluorierte Alkylverbindungen) wurde zuvor auf alle Substanzen und Materialien, welche mindestens eine CF2- beziehungsweise CF3-Gruppe enthalten, erweitert. Die Behörden haben mit ihrem Vorschlag unter anderem ein sofortiges Herstell- und Nutzungsverbot der Fluorpolymere PTFE, PVDF und der äußerst wichtigen Elastomerwerkstoffe – FKM und FFKM – gefordert.

Diese Punkte kritisiert die Branche

Das Vorgehen der ECHA ist dabei weltweit nicht nur einzigartig, sondern auch fragwürdig. Branchenverbände haben folgende Kritikpunkte am Vorgehen der Behörde:
1) Es wird mit einem sogenannten „Broad Restriction Proposal“ nicht mehr die Verfügbarkeit einzelner nachgewiesen schädlicher Chemikalien eingeschränkt, sondern es wird vorgeschlagen, aufgrund struktureller Ähnlichkeiten eine Gruppe von bis zu 10.000 Chemieprodukten – überwiegend ungeprüft – vom Markt zu verbannen.
2) Im Beschränkungsverfahren wird nach einem neuen Konzept des „Essential Use“ gearbeitet. Das bedeutet, dass die Behörden darüber befinden möchten, ob ein Stoff für die Gesellschaft und die Industrie notwendig und nützlich ist oder nicht. Wird aus Behördensicht ein Produkt „non-essential“, also von der Industrie oder deren Abnehmer scheinbar „grundlos“ eingesetzt, oder hat es aus Sicht der Behörde keinen ausreichenden „gesellschaftlichen Nutzen“, soll es verboten werden.
3) Neu ist auch, dass einzig die lange Lebensdauer fluorierter Produkte scheinbar ausreicht, um ein Verbot auszusprechen. Langlebigkeit alleine ist aber bisher kein Verbotskriterium und die Sinnhaftigkeit dieser Herangehensweise wäre auch zu hinterfragen, da wir im Alltag immer mehr langlebige Produkte wünschen und diese unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten definitiv zu bevorzugen wären. Die Eigenschaft „langlebig“ trifft auch auf andere Werkstoffe wie Edelstahl, Beton und Glas zu, ohne dass man auf die Idee käme diese zu verbieten.
4) Fragwürdig scheint der Ansatz durch Umkehr der „Beweislast“. Die Behörden verlangen von betroffenen Herstellern, Verarbeitern und Nutzern der fluorierten Produkte zu erklären, warum ihre Produkte nützlich und relevant sind und warum man sie nicht einfach durch etwas anderes ersetzen kann.
5) Für das Verfahren werden sehr kurze Fristen von wenigen Monaten gesetzt. Für die Beweisführung, dass die Industrie „nützliche Produkte mit wirtschaftlicher Bedeutung sicher und ohne Umweltfolgen“ herstellt, lässt die ECHA den Betroffenen im Fall von PFAS sechs Monate Zeit („Public Consultation“). Sie erklärt in ihren Veröffentlichungen nur vage, in welcher Form und welchem Umfang Informationen einzureichen sind. Vom verarbeitenden Gewerbe, welches noch unter den Folgen von Energiepreisschock, Lieferkettenunterbrechung und Arbeitskräftemangel leidet, wird erwartet, jetzt alles stehen und liegen zu lassen, um mit oberster Priorität zu verhindern, dass eine Behörde für sie überlebenswichtige Produkte verbietet.
6) An einem guten Verständnis des Vorhabens scheint den Behörden nicht gelegen zu sein. Vorliegt ein Gesetzesvorschlag auf über 1.500 Seiten, nur in Englischer Sprache verfügbar, für 27 Länder von denen außer Irland und Malta kein weiteres Englisch als Landessprache führt.

Was Sie über PFAS wissen müssen

Übersichtsgrafik zu PFAS.
Wissenswertes zu PFAS finden Sie in unserem Übersichtsartikel. (Bild: Francesco Scatena – Stock.adobe.com)

Fluorpolymere und weitere fluorhaltige Substanzen sollen verboten werden. Eine ihrer herausragenden Eigenschaften – die Beständigkeit – könnte ihr Verbot bedeuten. Für Sie haben wir das Thema PFAS aus verschiedenen Blickwinkeln während der Widerspruchsfrist beleuchtet und halten Sie künftig zu PFAS-Alternativen auf dem Laufenden. Alles, was Sie zum Thema wissen sollten, erfahren Sie hier.

Warum der Vorschlag „gefährlich“ ist

Nun geht es zwar „nur“ um einen Vorschlag, aber sollte die ECHA am Ende des Entscheidungsprozesses zu der Auffassung gelangen, dass Fluorpolymere keine wirtschaftliche Notwendigkeit haben, rückt, was für Fachleute im Moment nicht vorstellbar ist, ein Verbot von Fluorpolymeren in den Bereich des Möglichen. Im Zeitraum vom 22. März bis zum 22. September 2023 läuft die Einreichungsfrist für Hersteller, Verarbeiter und Anwender von FKM und Bauteilen. Aufgrund dieser eingereichten Informationen muss der ECHA deutlich werden, dass:
- FKM, ebenso wie andere Fluorpolymere, eine große wirtschaftliche Bedeutung hat
- FKM sicher und ohne Umweltbelastung hergestellt, verarbeitet und genutzt werden kann
- FKM durch andere Werkstoffe nicht ersetzbar ist
Gefordert werden von den Behörden detaillierte Informationen und technische Daten. Zu hoffen bleibt, dass diese bei der ECHA sicher vor dem Zugriff Dritter aufbewahrt werden.

Deshalb ist FKM notwendig

Es steht für die Fachwelt außer Zweifel, dass ein Verbot die Europäische Gummiindustrie mit ihren High-Tech Anwendungen in besonderem Maße treffen würde. Das Fehlen von FKM-Bauteilen ist in einem Industrieland wie Deutschland nicht vorstellbar. Chemie, Transport, Maschinenbau, Pharma, Halbleiter, ironischerweise auch nahezu alle Green-Deal Bausteine wie Windkraft, Photovoltaik, Wasserstoffelektrolyse und Elektroantrieb sind auf die Verfügbarkeit der Hochleistungsfluorpolymere angewiesen. Es gibt schlicht keine geeigneten FKM-
Ersatzwerkstoffe, welche die Schlüsselanforderungen der Bauteile in puncto Hochtemperaturfestigkeit, Kraftstoff- und Chemikalienbeständigkeit erfüllen. Gäbe es diese, so hätte der hohe Kostendruck längst zum Ersatz der teuren Materialien geführt.

Worauf sich der „Generalverdacht“ begründet

Maßgebliche Studien und eine OECD-Guideline erläutern, dass von Fluorpolymeren keine Gefahr ausgeht (Substances of Low Concern). Sie lösen sich weder in Wasser noch gelangen sie unbeabsichtigt in den Körper. Wegen ihrer Sicherheit und Langlebigkeit werden sie auch oft als Implantate im Menschen „verbaut“ und wurden entsprechend intensiv auf ihre Sicherheit geprüft. Die Behörden folgen dieser Argumentation jedoch nicht und werten die unter anderem lange Lebensdauer von Fluorpolymeren und die Tatsache, dass in der Nähe einiger Fluorpolymer Produktionsstätten wasserlösliche Fluorverbindungen gefunden wurden, als Begründung die gesamte Materialklasse der Polymere unter Generalverdacht zu stellen. Fluorpolymere können jedoch überwiegend ohne diese Fluorsurfactants hergestellt werden und sind heutzutage keine Quelle der Umweltbelastung durch wasserlösliche langkettige Verunreinigungen wie Perfluoroctansäure (PFOA). Die Umweltbefunde sind Altlasten aus einer Zeit, als PFOA beispielsweise über Löschschäume oder als Netzmittel in der Galvanik in die Umwelt gelangten. Nicht emittierende Betriebe zu schließen oder Produktverbote für als sicher eingestufte Polymere auszusprechen, wird das Problem der Altlasten jedoch nicht lösen.

Wo werden PFAS eingesetzt?

Aufgrund der relativ geringen Beteiligung der Industrie in früheren Anhörungen mag bei den Behörden der Eindruck entstanden sein, dass die Werkstoffgruppe der Fluorpolymere nur eine geringe Relevanz hat und ein Verbot ohne maßgebliche Folgen bleiben könnte. Es muss daher nun klar werden, dass wir nicht von Bratpfannen, Backpapier und Kaffeebechern reden, sondern über unabdingbare Bausteine in der Industrieproduktion. Die Dichtringe in Getrieben bestehen aus FKM. Ohne Getriebe läuft kein Windrad, kein Bagger, kein Schiff und im Übrigen auch kein Leopard-Panzer. Ein Kerosinschlauch im Airbus sollte ebenso dicht sein, wie ein Ventil in der Raffinerie. Das geht nur mit permeationsbeständigen Fluorelastomeren. Den Erstellern des Vorschlags ist offensichtlich entgangen, dass der Binder in den Lithiumionenbatterien unserer E-Fahrzeuge aus PVDF (Polyvinylidenfluorid) besteht. Scheinbar ebenso, dass die Wasserstoffelektrolysezelle eine Membran aus Fluorpolymere enthält. Öle aus Perfluorpolyether (PFPE) finden sich in Hochvakuumpumpen ohne die sich keine Computerchipfabrik betreiben lässt und ohne Perfluorkautschuk (FFKM) beschichtete Gatevalves gibt es keine Waferproduktion.

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Die ECHA sollte Ihre Produkte verstehen

Die Industrie kommt nicht umhin, wenn sie in Europa überleben möchte, der ECHA jetzt hochkomplexes Fachwissen nahezubringen. Hierzu besteht mit der „Public Consultation“ sechs Monate lang Gelegenheit, die von Ihnen, wenn Sie betroffen sind, genutzt werden sollte. Auch wenn Sie alle Hände voll zu tun haben ist es für den Erhalt dieser elementaren Werkstoffklasse wichtig, Ihr Wissen und Fakten einzubringen.
Teilen Sie der ECHA mit:
a) Wie die sichere Handhabung von FKM (oder anderer Fluorpolymere) in Ihrem Betrieb erfolgt.
b) Welche wesentliche Bedeutung Ihren Fluorpolymerprodukten zukommt und warum sich diese nicht durch andere Werkstoffe gleichwertig ersetzen lassen (siehe Materialspezifikation).
c) Welche Möglichkeiten der kontrollierten Abfallentsorgung Sie haben oder ob Sie gute Recyclingoptionen sehen (FKM landet nicht im Haushaltsmüll).
d) Welche unmittelbaren und mittelbaren Folgen es für Sie und Ihre Kunden hätte, wenn die Fluorpolymere aus dem Wirtschaftskreislauf verschwänden.

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Deshalb ist die Aufklärung der ECHA zu PFAS wichtig

Angesichts des fehlenden Spezialwissens für Elastomere und aufgrund einer fehlenden Folgeabschätzung eines Werkstoffverbots für den Wirtschaftskreislauf, scheint es dringend geboten für Aufklärung zu sorgen. Dass ohne Fluorpolymere kein Wirtschaftsleben, wie wir es kennen, möglich ist, muss sichtbar werden. Luftfahrt, Chemie, Pharma, Medizin, Maschinen-, Anlagen-, Gerätebau und Automobilbau sind gleichermaßen betroffen. Eine Initiative durch Teilnahme an der „Public Consultation“ entfaltet mehr Wirkung, wenn die Abnehmerindustrie von Kautschukartikeln ebenfalls an der öffentlichen Anhörung von März bis September teilnimmt. Ansonsten kann es zu unkalkulierbaren Folgen durch eine Fehlregulierung seitens der ECHA kommen.
Die drohende PFAS-Regulierung ist kein Problem mehr, welches die Chemische Industrie allein lösen kann, und sie ist auch nicht allein betroffen. Ohne Fluorpolymere gibt es keine Bauteile und ohne Bauteile keine Industrieprodukte.
Die ECHA wird ihre Entscheidung über die Breite an Beschränkungen auf Basis ihrer bis September 2023 gewonnenen Erkenntnisse treffen. Die Lieferung von Informationen darf nicht den Behörden der Mitgliedsstaaten überlassen werden, sondern ist nun die Aufgabe der gesamten betroffenen Industrie – für FKM, der kautschukverarbeitenden Industrie und deren Abnehmerindustrie.
Fluorpolymere müssen aus dem geplanten Beschränkungsverbot herausgenommen werden, da sie essenziell sind und von ihnen keine Gefahr ausgeht. Auch Ihr Beitrag ist hierbei wichtig.

Quelle: Unimatec

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