Die Kautschukindustrie steht derzeit vor einem Rohstoffparadoxon. Auf der einen Seite übt die wachsende Nachfrage Druck auf die Rohstofflieferkette aus und erfordert erhöhte Kapazitäten für synthetischen Kautschuk und erweiterte Flächen für Kautschukbäume. Auf der anderen Seite bleibt das Recycling begrenzt, obwohl jedes Jahr mehr als 1 Mrd. Reifen weltweit das Ende ihrer Lebensdauer erreichen. Einer der Gründe für diese Situation ist die komplexe Bauweise und chemische Struktur von Reifen, die ihr Recycling zu einer technologischen Herausforderung machen und einer Belastung für die Gesellschaft darstellen. Folglich ist das Wiederverwerten von Reifen auch heute noch nicht weit verbreitet, und ihre Zirkularität ist gering, insbesondere im Vergleich zu anderen Branchen.
Der verantwortungsvolle Umgang mit Altreifen und deren stoffliche Verwertung gewinnt zunehmend an Bedeutung, und sowohl die Endverbraucher als auch die Hersteller fokussieren auf eine Wiederverwertbarkeit der Altreifen. In letzter Zeit haben sich die meisten Reifen- und Gummiwarenhersteller eine Nachhaltigkeitsagenda gesetzt, die folgende Punkte umfasst: das Einführen einer höheren Recyclingquote, das verstärkte Verwenden von recycelten Rohstoffen, den Ersatz fossiler durch biobasierte Materialien und die Nutzung von nachhaltigem Naturkautschuk.
Obwohl rezyklierte Materialien aus Altreifen schon seit langem erhältlich sind, wurde ihre großflächige Einführung jedoch durch verschiedene Einschränkungen behindert, wie zum Beispiel: unbekannte und/oder variable Zusammensetzung, Bedenken hinsichtlich des durch den Recyclingprozess verursachten Materialabbaus, Qualitätsvariabilität oder begrenzte Verfügbarkeit. Aus all diesen Gründen werden Sekundärmaterialien, die aus dem Reifenrecycling hergestellt werden, oft als von geringer Qualität wahrgenommen und typischerweise in low performance Kautschukformulierungen zu einem geringen Gehalt verwendet.
Die Erfahrung der Industrie zeigt, dass die „Circular Economy“ (Kreislaufwirtschaft) für Reifen nur durch den Einsatz von nachhaltigen Hochleistungsmaterialien erreicht werden kann, die durch innovative stoffliche Verwertungsprozesse gewonnen werden. In letzter Zeit sind neue Technologien entstanden, die sich mit diesen Fragen befassen, wie zum Beispiel: recovered Carbon Black (rCB), Pyrolyseverfahren, Devulkanisierungstechnologien oder fortschrittliche Mahlverfahren zum Herstellen von Gummimehlen.
Warum nicht alle Gummimehle gleich sind
Das historische Verfahren zum Herstellen von Gummimehl umfasst ein mechanisches Mahlverfahren, bei dem der Kautschuk in einer Reihe von Granulatoren und Brechwalzen mit Messern und Klingen zerkleinert wird. Eine andere Technologie, das sogenannte kryogene Mahlen, wird ebenfalls häufig verwendet, um feines Gummimehl herzustellen. Dabei wird flüssiger Stickstoff verwendet, um Altgummi „einzufrieren“ und diesen anschließend mit Hammermühlen zu zerkleinern. Dieses „kalte“ Mahlen erzeugt Gummipartikel mit glatteren Oberflächen als das mechanische Mahlen bei Umgebungstemperatur.
In letzter Zeit ist eine dritte Technologie entwickelt worden, die auf der Wasserstrahl-Mikronisierung basiert. Dieses Verfahren arbeitet bei Raumtemperatur und erfordert weder Chemikalien noch thermische Behandlung. Es wird Wasser unter hohem Druck eingesetzt, um Reifengummi zu mikronisieren. Während des Verfahrens werden Verunreinigungen entfernt, sodass ein Pulver frei von Textilfasern und Stahl zurückbleibt. Das Verfahren erlaubt es außerdem, nur mit einem bestimmten Teil des Reifens zu arbeiten, um so die chemische Zusammensetzung besser zu kontrollieren. Die Einzigartigkeit des Verfahrens liegt in dem Hochdruckwasserstrahl, der Partikel mit rauer Oberfläche erzeugt.
Jedes Mahlverfahren erfordert eine andere maschinentechnische Ausrüstung und führt zu verschiedenen Produkten mit unterschiedlicher Leistungsfähigkeit. Einige Mahlverfahren, wie das mechanische Mahlverfahren, nutzen normalerweise einen gemischten und variablen Vorschub des gesamten Reifens, während andere wie beispielsweise die beschriebene Wasserstrahl-Mikronisierung nur einen ausgewählten Teil des Reifens verwenden. Die Wasserstrahl-Mikronisierung erzeugt Partikel mit einer größeren Oberfläche als andere Gummimehle, wodurch die Wechselwirkung zwischen den Gummipartikeln und der Kautschukmatrix verbessert wird. Die Unterschiede in Morphologie, Zusammensetzung und Eigenschaften der verschiedenen Gummimehle führen zu unterschiedlichen Leistungsniveaus. Folglich kann nicht jeder Pulvertyp auf die gleiche Weise und mit der gleichen Beladung in Gummimischungen verwendet werden.
Der Water Pulse-Prozess von Tyre Recycling Solutions, Préverenges, Schweiz, ist eine Wasserstrahl-Mikronisierung. Die Technologie wird nur auf die Profilschichten von Reifen angewendet und trennt Pkw- und Lkw-Reifen voneinander. Dies ermöglicht das Herstellen eines Gummimehls mit gleichbleibender Qualität und differenzierter Zusammensetzung.
Tyrexol CW 50 ist ein 50-Mesh Watejet-Gummimehl (Partikelgröße < 400 µm), welches ausschließlich durch Hochdruckwasserstrahlverfahren von Pkw-Reifenlaufflächen gewonnen wird. Die Qualität des Pulvers entspricht den ASTM-Normen, und es wurde nachgewiesen, dass dieses Waterjet-Gummimehl effizient revulkanisiert werden kann.
Herstellung von neuen aus alten Reifen
Zur Veranschaulichen der Eigenschaften von Gummimischungen, die Tyrexol CW 50 Waterjet-Gummimehl enthalten, wurden Laufflächen-formulierungen für Pkw-Reifen auf der Grundlage von Mischungen aus Polybutadien / Styrol-Butadien-Kautschuk (20 phr / 80 phr), gefüllt mit Kieselsäure (80 phr), hergestellt. Es wurden zwei Mischungen erstellt, eine mit Synthos Sprintan SLR 4630 Schkopau (1) und die andere mit Synthos Sprintan SLR 6430 Schkopau (2). Es wurden sowohl Referenzmischungen ohne Gummimehl als auch Mischungen mit zusätzlich 10 phr Tyrexol CW 50 (“on top“) hergestellt und getestet.
In der unvulkanisierten Mischung erhöhte die Zugabe von Gummimehl die Viskosität der Mischung. Dieser Effekt wurde bereits früher für andere Gummimehle berichtet; die Rezeptur kann leicht angepasst werden, um die Viskosität wieder auf ihr ursprüngliches Werteniveau zu bringen. Messungen mit dem Moving-Die-Rheometer (MDR) ergaben, dass das recycelte Pulver den Vernetzungsgrad (MDR – ΔS) nur geringfügig beeinflusst, während sich die Vulkanisationkinetik (MDR – T95) nicht veränderte. Das rezyklierte Gummimehl hatte nur einen geringen Einfluss auf die Eigenschaften der Mischung (1) und offenbar keinen feststellbaren Einfluss auf Mischung (2).
Tyrexol CW 50-Gummimehl zeigte nur begrenzte Auswirkungen auf die Zugeigenschaften der Vulkanisate (Zugfestigkeit, Modul bei 300 % und Bruchdehnung). Der Einfluss des Pulvers variierte mit dem Typ des verwendeten Styrol-Butadien-Kautschuks. Andere mechanische Eigenschaften wie Härte, Heat Buildup (HBU), Rückprallelastizität und DIN-Abrieb wurden durch die Zugabe von Waterjet-Gummimehl nicht wesentlich beeinflusst. Darüber hinaus hatte die Beimischung von Tyrexol CW 50 nur begrenzten Einfluss auf die gesamten mechanischen Eigenschaften der Mischung (1). Die Eigenschaften der Formulierung (2) veränderten sich durch die Zugabe des recycelten Pulvers fast nicht.
Dynamisch-mechanische Analysen (DMA) der Laufflächenmischungen, die das Gummimehl enthalten, wurden durchgeführt, um die Auswirkungen der Zugabe von recycelten Gummipartikeln auf die wichtigsten Leistungsindikatoren des Reifens zu bewerten. Bei SLR 4630-Mischung wurde der DMA-Grip-Indikator (tan δ bei 0 °C) nicht beeinflusst und der DMA-Indikator für den Rollwiderstand (tan δ bei 60 °C) leicht verschlechtert. Bei der SLR 6430-Mischung blieb der Grip-Indikator unverändert und der Rollwiderstands-Indikator wurde leicht verbessert.
Nicht alle recycelten Gummimehle sind gleich, es gibt verschiedene Sorten und Qualitäten, die bei der Formulierung berücksichtigt werden müssen. Das Verwenden nachhaltiger Hochleistungs-Materialien kann nicht nur zu einer höheren Kreislauffähigkeit von Reifengummi beitragen, sondern ist auch wirtschaftlich sinnvoll. Beim Verwenden solcher recycelten Materialien müssen keine Kompromisse zwischen Nachhaltigkeit und Leistung gemacht werden.