Mann mit dunklen Haaren, weißem Hemd und schwarzem Jacket.

Michael Klein, Präsident WDK (Bild: Redaktion KGK)

Herr Klein, können Sie uns einen Überblick über die wichtigsten Themen geben, die Sie in den ersten Monaten als Präsident des Wirtschaftsverbandes der deutschen Kautschukindustrie angegangen sind?

MICHAEL KLEIN: Mein Einsatz gilt vom ersten Tag meiner Amtszeit an dem Erhalt des Kautschukindustriestandorts Deutschland. Denn die geplanten Werkschließungen in der Reifenbranche zeigen: Die Gefahr einer Deindustrialisierung ist real. Unsere Branche verliert mit diesen Schließungen fast 5 Prozent der Beschäftigten in Deutschland. Seit Jahren appellieren wir an die Bundesregierung und an die EU-Kommission, bei den neuen, massiven staatlichen Regulierungsvorhaben den Industriestandort nicht aus den Augen zu verlieren. Nicht nur wir, sondern alle Wirtschaftsverbände waren und sind hier aktiv und besorgt. Doch inzwischen ist uns klar, dass die Warnungen und Beschwerden ungehört verhallen. Deshalb entwickeln wir im Verband aktuell eine Vorwärtsstrategie. Wir formulieren konkrete Maßnahmen, die wir umsetzen würden, wenn wir als Bundesregierung verantwortlich wären.  

Welche Ziele haben Sie für die deutsche Kautschukindustrie gesetzt und wie planen Sie, diese Ziele zu erreichen?

KLEIN: Die Zivilgesellschaft hält Führungspersonen der Wirtschaft für besonders kompetent und glaubwürdig, um die aktuellen globalen Herausforderungen anzugehen. So zumindest die Ergebnisse des jüngsten Edelman-Trust-Barometers. Ganz im Gegensatz zu Politik und Staat übrigens. Wir sind bereit, uns dieser Verantwortung zu stellen. Wir müssen eine deutliche Orientierung geben und noch stärker Einfluss nehmen, insbesondere auf die Regulierer. Wir haben Lösungen anzubieten. Unser Motto: Statt Jammern, machen! Das bedeutet auch: Wir müssen nach Innen den Zusammenhalt in der Kautschukindustrie stärken und nach außen, vor allem gegenüber den politischen Akteuren, deutlich machen, wer wir sind, wie wichtig wir sind und warum man uns braucht.
Wir werden unsere Vorwärtsstrategie offensiv nach außen kommunizieren, nicht nur an die politischen Entscheider, sondern auch an die Öffentlichkeit allgemein. Derzeit fehlt den Unternehmen jegliche Planungssicherheit, wie die Transformation der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität umgesetzt und finanziert werden soll, aber auch wie sie das unter ständig
zunehmender Belastung bewerkstelligen soll. Wir brauchen dringend Entlastung. Besser noch: Ein Bewusstseinswandel in Brüssel. Praxisferne Gesetzgebung ist dabei nur ein Beispiel. Deshalb schlagen wir vor, der Folgenabschätzung mehr Raum zu geben und Gesetzentwürfe frühzeitig im Dialog mit Fachkräften zu erarbeiten, anstatt den Verbänden nur wenige Stunden zur Kommentierung einzuräumen.

Wie hat sich die deutsche Kautschukindustrie in den letzten Jahren entwickelt und welche Rolle sehen Sie für den Verband, um diese Entwicklung positiv zu beeinflussen?

KLEIN: Nach der Corona-Pandemie hatte sich 2022 das Industriegeschäft zwar verbessert, die Umfänge blieben aber im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit auf eher niedrigem Niveau. Ein massives Problem war die Entwicklung der Kosten von Rohstoffen, Energie und Logistik, auch durch den Ukraine-Krieg. Für 2024 erwarten die Unternehmen der deutschen Kautschukindustrie, dass sich die konjunkturelle Branchenlage im Jahresverlauf aufhellt. Diese Hoffnung beruht auf den fragilen Einschätzungen von Konjunkturexperten für die deutsche Gesamtwirtschaft. Die Stimmung ist einfach schlecht, schließlich befindet sich die Branche in einer rezessiven Branchenlage. Die Lage der Kautschukindustrie kann sich nur bessern, wenn sich die Standortbedingungen ändern, denn aktuell sind aus Deutschland heraus keine Aufträge zu gewinnen. Deshalb versucht der WDK auf diese politischen Rahmenbedingungen Einfluss zu nehmen. Wichtige Faktoren sind: Niedrigere Energiekosten, weniger Bürokratie, mehr Verlässlichkeit.

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Nachhaltigkeit ist ein zentrales Thema in vielen Industrien. Welche Strategien verfolgt die Branche, um die Kautschukindustrie umweltfreundlicher zu gestalten?

KLEIN: Die deutsche Kautschukindustrie war Vorreiterin in Sachen Nachhaltigkeit. Schon vor zehn Jahren initiierte die Branche eine eigene Nachhaltigkeitscharta. Die Branche agiert auch entsprechend: In unserer Best Practice-Sammlung „Nachhaltig Handeln“ zeigen wir beispielhaft Projekte unserer Mitgliedsunternehmen. Wir unterstützen auch mit Leitfäden und einem Dialog unsere Mitglieder bei der Umsetzung der Vorgaben durch das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengsetz oder die EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten. Gerade weil die Produktion der Kautschukindustrie unter Umweltschutzaspekten sehr modern ist, betonen wir gerne: Der beste Klimaschutz ist Industrieproduktion in Deutschland. Wenn wir auf unsere Roh- und Hilfsstoffe schauen, so zeichnet sich für uns als kautschukverarbeitende Branche ein ganz wichtiger Sprung nach vorne ab. Wir haben bereits vor Jahren im WDK eine strategische Forschungsinitiative gestartet, um unsere Rohstoffversorgung nachhaltiger, ressourcenschonender und präventiv sicherer aufzustellen. De-facto müssen wir unsere Elastomere neu erdenken und die Wieder- und Weiterverwendung bereits im Produktdesign anlegen.

Inwieweit spielt die Digitalisierung in den Plänen der Kautschukindustrie eine Rolle?

KLEIN: Die Digitalisierung der Produktion ist gelebter Alltag und die des Produktlebenszyklusses in der Umsetzung. Die Digitalisierung der Performance unserer Produkte, und hier insbesondere der Reifen, ist keine technische Frage mehr, sondern wir brauchen hier Teilhabe an dem, was wir leisten. Dazu gehört insbesondere, dass unsere Reifenhersteller auf die Daten zugreifen können, die von ihren Sensoren erfasst und geliefert werden. Das ist unverzichtbar für die Fortentwicklung in Sachen Sicherheit und Umweltschutz. Bisher rennen wir hier aber in Brüssel und bei der Automobilindustrie gegen Mauern. Der Schritt von der Datenerhebung zur Datenanalyse und der Umsetzung in künstlicher Intelligenz (KI) ist auch für uns ein wichtiger nächster Schritt. KI ist daher ein zentrales Thema unseres Tages der Kautschukindustrie im April 2024 in Berlin.

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Wie stark hemmen die regulatorischen Vorgaben seitens der Regierung und der EU das Tagesgeschäft der Kautschukindustrie?

KLEIN: Die Regulierung hemmt massiv das Tagesgeschäft der Kautschukindustrie und sorgt dafür, dass die globale Wettbewerbsfähigkeit immer mehr auf der Strecke bleibt. Um mal eine Zahl zu nennen: In Deutschland beliefen sich 2023 die Kosten durch die Bürokratie für Bürger, Unternehmen und Verwaltung auf etwa 27 Milliarden Euro. Ein Jahr davor waren es noch rund zehn Milliarden Euro. Vor allem die zahllosen Berichtspflichten belasten erheblich – nicht nur Mittelständler, sondern auch Großunternehmen. In unserer Vorwärtsstrategie schlagen wir ein dreijähriges Moratorium für gesetzliche Dokumentationspflichten vor.
Große Fragezeichen haben wir an Deutschland als Standort für die hiesigen Automobilzulieferer. Über 80 Prozent unseres Netzwerks liefern in Mobilitätslösungen. Und die staatlich regulierte Verkehrswende trägt es aktuell aus der Kurve. Die seit Jahren von uns und anderen Wirtschaftsnetzwerken vorausgesagten massiven strukturellen Folgen der staatlichen Mobilitätsregulierung werden jetzt Wirklichkeit. Betrachten wir nur den Absatzeinbruch bei E-Fahrzeugen nach Auslauf der staatlichen Subvention für Verbraucher Ende 2023. Warnen und Rufen hilft jetzt nichts mehr. Diesen „Schmerz“ müssen alle Beteiligten 2024 jetzt erst einmal aushalten. Das ist für uns die letzte Hoffnung, dass Bundesregierung und die Regulierer der EU angesichts der ganz konkreten und sichtbaren wirtschaftlichen Folgen nun doch noch zu einer technologieoffenen Verkehrswende umschwenken.
Verstehen Sie mich richtig: Wir wollen keine Bevorzugung oder Besserstellung. Alles, was wir fordern, sind gleiche Wettbewerbsbedingungen. Die Messlatte mit staatlichen Markteintrittsbedingungen wird immer höher gelegt. Und die Wettbewerber, die von außerhalb Europas in die EU liefern? Sind diese de-facto von allen Auflagen befreit? Das kann nicht sein. Die Marktüberwachung muss daher gestärkt und in Bundeshände gelegt werden, um nicht Billiganbietern mangels funktionierender Marktüberwachung Tür und Tor zu öffnen.
Sie sprechen „Taxonomie“ zu Recht an, also die gesetzliche Vorschrift seitens der EU an die Banken, Kredite nur noch auf Basis von Nachhaltigkeits-Kriterien vergeben zu dürfen. Folge: Banken stufen jetzt zunehmend Unternehmen der Automobilbranche als „Risiko“ ein. Und es werden umfangreiche Dokumentationen von allen Firmen zu ihrer Corporate Social Sustainability verlangt. Und eben nicht nur von globalen Konzernen. Der Zugang zu Krediten wird in spätestens zwei  Jahren auch für den Mittelstand stark eingeschränkt sein.
Am Beispiel des drohenden pauschalen PFAS-Verbots der EU kann man gut sehen, welche aberwitzigen Folgen der strategische „Präventiv-Ansatz“ hat. Also der Versuch, nicht nur konkrete Gefahren, sondern jedes mögliche Risiko von vornherein auszuschließen. In der Konsequenz kann die EU jede Chemikalie und jeden Roh- oder Hilfsstoff verbieten, für den nicht sehr aufwendig nachgewiesen wurde, dass kein Risiko von ihm ausgeht. Was dies konkret bedeutet, zeigt uns das PFAS-Verfahren. Bei dem wir übrigens nicht direkt angehört werden und selbst als Beobachter an den EU-Beratungen nicht teilnehmen dürfen. Und leider muss ich sagen: PFAS wird für unsere Branche kein Einzelfall bei EU-Verbotsverfahren hinsichtlich wichtiger oder sogar unverzichtbarer Stoffe bleiben.

Inwieweit ist die Kautschukindustrie Teil der Lösung, um die von der Regierung gesteckten Nachhaltigkeitsziele zu erreichen?

KLEIN: Das Gegenteil von „gut“ ist „gut gemeint“. Das beobachten wir auch in der Chemikalienregulierung. Wir plädieren dafür, Grenzwerte so zu gestalten, dass ihre Einhaltung technisch und mit angemessenem Aufwand überprüfbar ist. Gleichzeitig sollte sich der Gesetzgeber bei der Regulierung von gefährlichen Chemikalien darauf konzentrieren, das tatsächliche Risiko statt der abstrakten Gefahr zu minieren. Auch hierzu stehen wir mit unserem Know-how bereit.
Deutschland ist rohstoffarm aber sekundärrohstoffreich. Das bedeutet, dass Recycling ein notwendiger Bestandteil des wirtschaftlichen Agierens sein muss. Aber bestehende Recycling- und Wertstoffströme werden durch überbordende Regulierung ad absurdum geführt. Runderneuerung von Reifen lohnt sich kaum noch, aufgrund fehlender Überwachung bei Reifenbilligimporten. Granulierung und Verarbeitung von Altgummiprodukten zu neuen hochwertigen Produkten wird durch ungeeignete Analysemethoden konterkariert. Die Liste kann man fortsetzen. Und das, obwohl wir heute in Deutschland schon mehr als zwei Drittel der Altreifen in der Wertstoffkette halten können. Vor fünf Jahren haben wir die Initiative New Life gegründet, die zeigen soll, wie gut Recyclingprodukte aus Gummi sein können und wie vielfältig die Einsatzmöglichkeiten sind. Zudem haben wir mit der Schirmherrschaft des Azur-Netzwerks (Allianz Zukunft Reifen) einen Austausch mit allen Stakeholdern der Altreifen-Recycling-Branche aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Dieses Netzwerk ist in den letzten Jahren enorm gewachsen und zeigt, wie leistungsfähig der Gummisektor in allen Lebensphasen des Produktes ist.

Das Interview führte Simone Fischer, verantwortliche Redakteurin KGK

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