Mann in weißem Hemd, Prof. Dr. Volker Herrmann, Studiendekan  Fakultät Kunststoff und Vermessung, Studiengang Kunststoff- und Elastomertechnik,  Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt.

Prof. Dr. Volker Herrmann, Studiendekan Fakultät Kunststoff und Vermessung, Studiengang Kunststoff- und Elastomertechnik, Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt. (Bild: privat)

Im Gegensatz zur Kunststoffbranche kann sich die Kautschukindustrie dank des hohen Anteils der Verwendung an Naturkautschuk die Nachhaltigkeit schon mal auf die Fahnen schreiben, aber ist das etwa schon ausreichend? Natürlich nicht! Ob es nun einer noch größeren Menge anderer nachwachsender Rohstoffe bedarf, wie Weichmacher oder Polymere auf Zuckerrohrbasis, sollte mit Bedacht abgewogen werden, weil man hier immer mit Anbauflächen für Lebensmittel konkurriert. Da sind dann schon Füllstoffe auf Basis von Lignin oder Reishülsen, die ohnehin anfallen, besser geeignet. Hier ist jedoch noch eine Menge Grundlagenarbeit nötig, denn die Umsetzung sowie das Scale Up auf den Produktionsmaßstab müssen noch erfolgen. Die Reifenbranche zeigt, dass sie seit eh und je an den richtigen Themen arbeitet: Eigenschaften wie der Roll- und Abriebwiderstand haben aufgrund der aktuellen Energiekrise und des allgegenwärtigen Themas Mikroplastik erneut an Fahrt aufgenommen. Die EU verfolgt das Ziel, bis 2030 den Anteil an Mikroplastik in der Umwelt um 28 % zu reduzieren, für den Reifen bedeutet das einen Abriebgrenzwert von 20 mg/km. So fällt eine alte Studie der Continental wieder ins Gedächtnis, der zufolge der Gebrauch des Reifens ein sehr viel größeres Potential zur Erderwärmung (gerechnet in CO2-Äquivalenten) hat, als die Auswahl der Rohstoffe. Dass viele etablierte Reifenhersteller, darunter die Continental selbst, dennoch auf nachhaltige Rohstoffe in der Zukunft setzt, darf als eine Verpflichtung gegenüber zukünftiger Generationen, nicht zuletzt aber auch als Marketingstrategie angesehen werden: So soll bei Michelin ab 2048 ein Reifen zu 80 % aus „nachhaltigen Rohstoffen“ hergestellt werden, bei Continental ab 2050 gar aus 100 %.

Der Verbleib von etwa einem Drittel der Reifen in Deutschland

ist derzeit unbekannt.

Wie oft wird ein Führen im Kreislauf möglich sein?

In diesem Zusammenhang sind nachhaltige Rohstoffe keineswegs nur nachwachsende Rohstoffe und Biopolymere, sondern auch Rezyklate die im Kreislauf gefahren werden. Wie oft das möglich ist, werden die nachfolgenden Genera-tionen herausfinden, die hiesige ist schon froh, wenn sie einen ersten Kreislauf überstehen. Die am besten und seit Jahrzehnten etablierte Methode des Kreislaufs ist zweifelsohne der runderneuerte Reifen, der eine Erfolgsgeschichte insbesondere im Lkw-Geschäft darstellt. Leider ist der europäische Markt aufgrund von Billigimporten aus Fernost lange schon rückläufig. Das offenbart die Problematik von global unterschiedlichen Auffassungen zur Notwendigkeit zu nachhaltigem Handeln und ein generelles Problem: Je nach Wahl der Systemgrenzen eines Ökosystems kann die Nachhaltigkeit unterschiedlich kalkuliert und interpretiert werden. Und das ist ein prinzipielles Dilemma bei der Bestimmung eines CO2-Footprints. Können Reifen nach ihrem Arbeitsleben nicht mehr runderneuert werden, dann stellen sie immer noch eine enorme Quelle für Rohstoffe und Energie dar. Hierbei muss allerdings sichergestellt werden, dass die Reifen nur an zertifizierte Entsorger weitergegeben werden und wir sie nicht an Orten wiederfinden, an denen man sie nicht erwartet. Der Verbleib von etwa einem Drittel aller Reifen in Deutschland ist unbekannt. Hier ist insbesondere die hervorragende Lobbyarbeit von AZuR zu nennen, die sich für die sinnvolle Nutzung von Altreifen einsetzt.

µRFA-Aufnahme eines Rollerreifens.  Blau: Silizium (Lauffläche mit Kieselsäure und Gummimehlpartikeln, Gelb: Schwefel
µRFA-Aufnahme eines Rollerreifens.
Blau: Silizium (Lauffläche mit Kieselsäure und Gummimehlpartikeln, Gelb: Schwefel (Bild: S. Frosch, THWS)

Da steckt mehr als Energie drin

Sofern die Altreifen dann nicht der energetischen Verwertung zugeführt werden, ist eine roh-/werkstoffliche Nutzung beispielsweise über Pyrolyse sowie der Einsatz von Gummigranulaten und Gummimehlen möglich. Viele Reifenhersteller haben den Einsatz von rCBs angekündigt, neben technischen Einschränkungen sind auch Lieferketten und Engpässe die derzeitigen Herausforderungen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist zudem auch hier noch vieles unverstanden und rCBs werfen ein neues Licht auf das bisherige Verständnis bei der Charakterisierung von Rußen und den Verstärkungseffekt. Auch für die bei der Pyrolyse entstehenden Öle werden Verwendungszwecke gefunden: ein großer deutscher Automobilhersteller aus dem Stuttgarter Raum hat sogar angekündigt, Handgriffe aus Kunststoffen herzustellen, die zumindest teilweise auf der Basis von Pyrolyseölen, resultierend aus Altreifen entstanden sind. Angesichts der unterschiedlichen Herangehensweisen beim Recycling von Elastomeren haben wir uns an der THWS dazu entschieden, einige Grundlagenuntersuchungen zum Einsatz von Gummimehlen in Elastomeren durchzuführen und werden dabei von der DKG dankenswerter Weise finanziell unterstützt. Die dabei entstandenen Erkenntnisse wurden in den letzten Jahren publiziert. Die große Herausforderung in der Praxis hierbei ist unter anderem die Tatsache, daTH Wss auch nur eine annähernde Sortenreinheit heute noch undenkbar und damit eine großtechnische Verwertung nur sehr eingeschränkt möglich ist. Dass es aber prinzipiell und auch praktisch dennoch möglich ist, zeigt beispielsweise der Einsatz von Gummimehl in der Lauffläche von kommerziell erhältlichen Rollerreifen der Firma Heidenau (siehe µRFA-Aufnahme).

 

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