Ein Glas voll mit einem Wasserstrahl von oben.

Bild 1: Die in Kontakt mit Trinkwasser stehenden Werkstoffe sind eng reguliert. (Bild: Rawpixel – stock.adobe.com)

1. Einleitung

Die Entwicklung von Elastomermischungen für den Einsatz im Kontakt mit Trinkwasser stellt für die Industrie eine komplexe und interdisziplinäre Herausforderung dar, da chemische, physikalische und ingenieurstechnische Herausforderungen zu bewältigen sind. Erschwerend ist die Tatsache, dass in Europa eine Vielzahl länderspezifischer Normen existieren. Die wichtigsten dieser Normen sind die KTW-BWGL in Deutschland, die BS 6920 in Großbritannien, die ACS in Frankreich, die Ö-Norm B5014 in Österreich und die BRL-K17504 in den Niederlanden. In Deutschland galt bis zum März 2021 die Elastomerleitlinie [1] als entscheidende und verbindliche Grundlage für die Auswahl von Ausgangsstoffen und für die Festlegung notwendiger Prüfverfahren. Ab dem 21.03.2021 wurde die Elastomerleitlinie durch die Bewertungsgrundlage für Kunststoffe und organische Materialien (KTW-BWGL) [2,3] ersetzt. Für die nach der Elastomerleitlinie gefertigten und zertifizierten Bauteile gilt eine Übergangsfrist bis zum 01.03.2025 [1].
Die Normen in verschiedenen Ländern können sich teilweise erheblich unterscheiden. Die Zertifizierung nach einer Norm bedeutet nicht automatisch, dass auch eine Zertifizierung nach einer anderen Norm erfolgt. Oft ist ein aufwendigerer und kostspieligerer Zertifizierungsprozess erforderlich. Dies stellt insbesondere Hersteller von Mischungen vor große Herausforderungen, da sie eine Reihe von länderspezifischen Entwicklungen parallel vorantreiben müssen.
Ab dem Jahr 2026 zeichnet sich ein entscheidender Schritt in Richtung Harmonisierung ab. So werden im Laufe des Jahres 2024 europäische Regularien in Kraft treten, die sich stark an den deutschen Vorschriften orientieren.
Der Übergang von nationalen zu europäischen Regularien und Standards ist von besonderer Relevanz, da der Wegfall der bisherigen Heterogenität der Regularien und Normen nicht nur zu einer Vereinheitlichung der regulatorischen Landschaft führt, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung von Elastomer-Mischungen haben wird.
Die aktuellen Änderungen in Deutschland, insbesondere die dritte Änderung der Bewertungsgrundlage für Kunststoffe und organische Materialien, die seit März 2023 [2,3] rechtsverbindlich ist, sowie der Vorschlag zur vierten Änderung, der im Januar 2024 publiziert wurde und zurzeit in Diskussion ist, gewinnen vor diesem Hintergrund zusätzlich an Bedeutung.
Das Hauptziel dieser Publikation ist es, die Auswirkungen der regulatorischen Veränderungen durch die KTW Bewertungsgrundlage auf die Entwicklung von Elastomermischungen für den Kontakt mit Trinkwasser zu analysieren und zu quantifizieren.
Im Fokus steht dabei die Analyse der Auswirkungen der, vom deutschen Umweltbundesamt (UBA) veröffentlichten KTW-Bewertungsgrundlage auf die Herstellung, Verarbeitbarkeit und Eigenschaften von schwefelvernetzten Elastomer Mischungen, sowie auf die Eigenschaften der damit hergestellten Bauteile, wie zum Beispiel Schieberkeile, Dichtungen, Durchflussmessgeräte, und andere.
Durch eine detaillierte Analyse des Vulkanisationsverhaltens, sowie der mechanischen Eigenschaften einer großen Anzahl von Mischungen, die auf der Basis der 3. Änderung der KTW- Bewertungsgrundlage hergestellt wurden, wird gezeigt, dass sich die Anforderungen der KTW-Bewertungsgrundlage [2,3] bei vielen Systemen nur umsetzen lassen, wenn gravierende Einbußen in den Eigenschaften akzeptiert werden.
Als Konsequenz wurde im Jahre 2022 die Aufnahme eines Beschleunigers der im Fachjargon als Ausgangsstoff bezeichnet wird, in die Positivliste der KTW-BWGL beantragt. Dies geschah mit dem Ziel, eine Risikobewertung des Beschleunigers auf Basis seiner toxikologischen Wirkung und seines ­Migrationsverhaltens zu ermöglichen. Damit soll eine wirtschaftlich und ökologisch sinnvolle Herstellung von Bauteilen auf der Grundlage von schwefelvernetzten Elastomermischungen gewährleisten werden.

2. Elastomermischungen für den ­Kontakt mit Trinkwasser

Trinkwasserversorgung
Bild 2: Die mit dem Wasser in Kontakt tretenden Bauteile müssen zumeist einer Migrationsprüfung und einer Bewertung des mikrobiellen Wachstums unterzogen werden. (Bild: Thomas Söllner – stock.adobe.com)
Die KTW Bewertungsgrundlage für Kunststoffe und andere organische Materialien im Kontakt mit Trinkwasser (KTW-BWGL) [2,3] beschreibt die hygienischen Anforderungen, die an Produkte und/oder Bauteile aus organischen Materialien im Kontakt mit Trinkwasser gestellt werden.
Dabei müssen Produkte oder Bauteile aus organischen Materialien produkt-  beziehungsweise bauteilspezifisch beurteilt werden, da der Produktionsprozess (insbesondere Extrusion, Spritzgießen und Vernetzung) Einfluss auf die trinkwasserhygienischen Eigenschaften des Endproduktes haben kann.
Zum Bewerten der Eignung für den Kontakt mit Trinkwasser ist ein mehrstufiger Prozess nötig, der die folgenden Schritte beinhaltet.
  • Rezepturbewertung der Mischung
  • Migrationstest am Bauteil. Dies beinhaltet:
  • - Grundanforderungen mit Beurteilung der Parameter Geruch, Trübung, Verfärbung, Schaumbildung und TOC (total organic carbon =  organischer Kohlenstoff)
  • - Zusatzanforderungen für Elastomere mit Anforderungen an Füllstoffe und Pigmente, sowie gegebenenfalls spezifische Migration von Zink.
  • - Rezepturspezifisches Bewerten von Stoffen mit Grenzwerten (QM oder MTCtap)
  • Bestimmung und Beurteilung der Förderung des mikrobiellen Wachstums nach [6] an Platten der Mischung (Verfahren 2 – W270) bzw. am Bauteil (Verfahren 1 – BPP)
  • Bestimmung der mechanischen Eigenschaften nach DIN EN681-1 [5]
  • Optimierung des Vulkanisations- und Verarbeitungsverhaltens

2.1 Rezepturbewertung

Mit der Rezepturbewertung wird von einer Zertifizierungsstelle beurteilt, ob die Mischungsbestandteile der Positivliste der KTW-BWGL entsprechen und ob nicht gelistete Stoffe den von der KTW-BWGL erlaubten Ausnahmen genügen. Dazu nimmt die Zertifizierungsstelle mit jedem Lieferanten eines Mischungsbestandteiles Kontakt auf und lässt sich von diesem die Zusammensetzung der eingesetzten Rohstoffe sowie eine Bestätigung zur Reinheit der jeweiligen Subs-tanz vorlegen. Beispielsweise muss der Hersteller eines Polymers nachweisen, dass bei der Polymerisation ausschließlich die in der Positivliste aufgeführten Ausgangsstoffe verwendet werden, wobei Ausnahmen gemäß den Vorgaben der KTW-BWGL möglich sind [2,3].  Dieser Prozess ist für die Lieferanten der Mischungsbestandteile zeitaufwendig und kostenintensiv. Viele Hersteller und Händler entscheiden sich daher aus wirtschaftlichen Gründen gegen eine Zertifizierung ihrer Produkte für Trinkwasseranwendungen. Besonders problematisch ist dies im Fall der für die Schwefelvernetzung benötigten Beschleuniger. Aufgrund der genannten wirtschaftlichen Gründe wurden für viele Beschleuniger keine Anträge auf Zulassung beim Umweltbundesamt für den Einsatz im Trinkwasserkontakt gestellt, weshalb sie nicht Teil der Positivliste sind. Die Konsequenzen dieser Einschränkung werden ausführlich in den Abschnitten 2.5 und 2.6 diskutiert.

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2.2 Migrationsprüfung und Beurteilung der Parameter von Grund-, Zusatz und rezepturspezifischen Anforderungen

Formel in schwarz.
Gleichung 1 (Bild: Compounds AG)

Das Ergebnis der Rezepturprüfung definiert nicht nur die zu verwendenden Stoffe, sondern auch die beim Migrationstest durchzuführenden Messungen und Parameter (Prüf- beziehungsweise Grenzwerte), die einzuhalten sind. Der Grenzwert wird als sogenannter MTCtap - Wert festgelegt, der die maximale tolerierbare Konzentration eines, vom elastomeren Bestandteil ins Wasser diffundierten Stoffes am Wasserhahn in µg/l angibt. So ist zum Beispiel im Anhang D der KTW-BWGL [4] Dicumylperoxid als vorläufig bewerteter Stoff aufgeführt. Die Listung als vorläufig bewerteter Stoff bedeutet, dass das Zulassungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist, das UBA aber von einem positiven Ausgang des Zulassungsverfahrens ausgeht. Für das, im Beispiel diskutierte Dicumylperoxid wird erwartet, dass es in der 4. Änderung der Bewertungsgrundlage als vollständig bewertet klassifiziert wird. Die MTCtap für Dicumylperoxid (0,1 µg/l), sowie für die bei der Vernetzung entstehende Zerfallsprodukte Cumylalkohol (2,5 µg/l), Metylcumylether (2,5 µg/l), α-Me­thyl­styrene (2,5 µg/l) und Acetophenon (0,7 µg/l) sind so in der Positivliste festgelegt.
Bei der Migrationsprüfung werden Prüfplatten oder ganze Bauteile bei verschiedenen Temperaturen (abhängig davon, ob das Bauteil für Anwendungen im Kalt-, Warm- oder Heißwasser zugelassen werden soll) für unterschiedliche Zeiten (Zyklen) bei einem vorgegebenen Verhältnis von benetzter Oberfläche zu Wasservolumen in genormtem, nicht gechlortem (dies gilt nur in Deutschland) Prüfwasser gelagert. Unabhängig vom Anwendungsbereich des Bauteils muss grundsätzlich immer eine Kaltwasserprüfung oder     -lagerung durchgeführt werden.
Alle beschriebenen Prüfungen werden nach der Lagerung im Wasser (im Folgenden als Migrationswasser bezeichnet) durchgeführt und die vorgeschriebenen Parameter nach den relevanten Lagerzyklen des Bauteils beziehungsweise der Prüfplatte im Wasser bestimmt.  
Die Durchführung der Prüfung ist in den Normen DIN EN 12873-1:2014-09 oder DIN EN 12873-2:2020-07 festgelegt. Dazu erfolgt in einem ersten Schritt die Bestimmung des Geruchsschwellwertes, der Färbung, der Trübung und der Neigung zur Schaumbildung nach DIN EN 1420:2016-05.
Die weiteren Prüfungen beziehungsweise die zu bestimmenden Parameter werden von den verwendeten Mischungsbestandteilen und den daraus gebildeten Zerfalls- und/oder Reaktionsprodukten bestimmt. Für das Beispiel des Dicumylperoxides muss die Konzentration des Dicumylperoxides, sowie die Konzentration der Zerfallsprodukte im Prüfwasser bestimmt werden.
Das gleiche Vorgehen gilt für jeden Bestandteil der Mischung, sofern stoffspezifische Grenzwerte festgelegt sind. Die Art der Analytik und die Festlegung der zulässigen Maximalkonzentrationen der untersuchten Substanzen sowie deren Reaktions- und/oder Zerfallsprodukte im Migrationswasser werden bei der Beantragung der jeweiligen Substanz in die Positivliste vom UBA festgelegt. Dies basiert auf einer toxikologischen Bewertung. Liegt eine solche Bewertung nicht vor, darf der Stoff nicht ins Trinkwasser übergehen und muss die Migrationsbeschränkung von MTCtap = 0,1 µg/l für die jeweilige Produktgruppe einhalten. Bei vorhandener toxikologischer Bewertung können, je nach Ergebnis, höhere maximale Konzentrationen am Wasserhahn erlaubt sein.
Das Ergebnis des Migrationstests sind die in den Migrationswässern gemessenen Konzentrationen cTest der in der Positivliste festgelegten Stoffe und ihrer Zerfalls- und Reaktionsprodukte. Zur Berücksichtigung des wasserberührten Oberflächenanteils und der Art der Verwendung des Bauteils wurde der sogenannte Konversionsfaktor FC eingeführt. Damit soll die, am Wasserhahn erwartete Konzentration ctab für jede Substanz abgebildet werden.    
Die Größe O bezeichnet die beim Migrationsversuch vom Wasser benetzte Oberfläche des Prüflings, V das Volumen des Prüfwassers und t die Dauer der Migrationsperiode in Tagen. Für die Durchführung der Prüfungen ist ein Verhältnis O/V größer 5 dm-1 vorgeschrieben.
Der Konversionsfaktor kann Werte zwischen 0,005 d/dm und 20 d/dm annehmen. Die Einheit sind Tage pro Dezimeter [d/dm]. Vereinfacht ausgedrückt gilt, je mehr Oberfläche des Bauteils von Wasser benetzt ist und je länger der Kontakt mit stehendem Wasser, desto höher der Konversionsfaktor. Beispielsweise gilt für eine Dichtung, die in einem Rohr (im Fachjargon als Bauteil von Ausrüstungsgegenständen klassifiziert) mit einem Innendurchmesser von kleiner 80 mm und einem wasserberührten Oberflächenanteil von weniger als 10 % eingesetzt wird, ein Konversionsfaktor FC von 0,2 d/dm.
In der Bewertungsgrundlage wird noch zwischen dem Einsatz innerhalb und außerhalb der Trinkwasserinstallation unterschieden. Als Trinkwasserinstallation wird der Bereich innerhalb eines Hausanschlusses bezeichnet. Dabei wird davon ausgegangen, dass innerhalb eines Hausanschlusses kein kontinuierlicher Wasserwechsel stattfindet, und so eine höhere Konzentration der migrierenden Stoffe auftreten kann. Deshalb werden für Anwendungen in Hausinstallationen deutlich höhere Konversionsfaktoren festgelegt.
Auf der Basis des Konversionsfaktors und damit in Abhängigkeit vom Anteil der wasserberührten Oberfläche werden Produkte oder Bauteile in vier Risikogruppen P1 bis P4 (siehe Tabelle 2, Tabelle 7 und Tabelle 8 in [2,3]) eingeteilt. Anhand der Risikogruppe ist festgelegt, welche Anforderungen Bauteile hinsichtlich des Migrationsverhaltens und des mikrobiellen Bewuchses erfüllen müssen.
Da der Konversionsfaktor FC die entscheidende Größe bei der Auswertung des Migrationsversuchs und bei der Festlegung der Risikogruppe darstellt, ist es sehr zu empfehlen, Produkte und/oder Baugruppen sehr genau hinsichtlich des Konversionsfaktors zu analysieren und einzuordnen. Im Zweifelsfalle ist es sinnvoll, die jeweiligen Konversionsfaktoren oder Risikogruppen von einer oder besser mehreren Zertifizierungsstellen prüfen zu lassen.
Die Durchführung des Migrationstest ist nur für Bauteile vorgeschrieben. Mischungshersteller lassen den Migra­tionstest ihrer Mischungen an Prüfplatten, die unter produktionsnahen Bedingungen hergestellt werden, von einem akkreditierten Prüfinstitut durchführen. Dies bietet den Kunden, den Herstellern der Bauteile, die Sicherheit, dass bei der Bauteilprüfung keine negativen Überraschungen auftreten. Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass auf dem Zertifikat, das eine Zertifizierungsstelle nach bestandenem Migrationstest der Mischung ausstellt, nicht nur die Risikoklasse P1 - P4, sondern auch der Konversionsfaktor FC angegeben ist. Sinnvoll sind außerdem Angaben zur Prüfkörpererstellung und Informationen zur deren Herstellung und zu den Vulkanisations- und Verarbeitungsbedingungen. Nur damit lässt sich das Migrationsverhalten eines Bauteils modellieren beziehungsweise prognostizieren.

2.3 Charakterisierung des mikrobiellen Bewuchses

Neben dem Migrationstest ist für die Risikoklassen P1 - P3 (10 > FC > 0.005) eine Bewertung des mikrobiellen Wachstums vorgesehen. Ob diese durchgeführt werden muss, hängt zum einen von der Risikoklasse des Produkts ab und zum anderen davon, ob die Mischung als Vor- oder Zwischenprodukt zertifiziert werden soll. Die Prüfung erfolgt nach DIN EN 16421: 2015-05 [6] an Prüfplatten oder Prüfstücken.
Die Zertifizierung einer Mischung als Zwischenprodukt ist in [7] geregelt und bedeutet im Wesentlichen, dass für Anwendungen mit einem Konversionsfaktor < 10 d/dm die Bewertung des mikrobiellen Wachstums an der Mischung ausreichend ist. Dazu muss eine Rezepturprüfung und eine Bestimmung des mikrobiellen Wachstums an vulkanisierten Prüfplatten der Mischung durchgeführt werden. Für die Bestimmung des mikrobiologischen Wachstums ist eine, durch eine Zertifizierungsstelle durchzuführende, überwachte Probenentnahme notwendig. Bei positiver Beurteilung erstellt eine Zertifizierungsstelle ein Zertifikat, dass die Mischung als Zwischenprodukt kennzeichnet.
Praktisch bedeutet dies, dass für ein Bauteil kein weiteres Bestimmen des mikrobiellen Wachstums nötig ist, falls die verwendete Mischung als Zwischenprodukt klassifiziert ist und dies mit einem Zertifikat bestätigt wurde. Die Prüfung des mikrobiellen Wachstums der Mischung kann dann für das Bauteil übernommen werden. Dies ist für den Hersteller des Bauteils ein deutlicher Vorteil, da für Ihn die sehr aufwendige und zeit- sowie kostenintensive Bestimmung des mikrobiellen Wachstums entfällt. Die Prüfung des mikrobiellen Wachstums erfolgt nach [6,8] durch zwei mögliche Verfahren. Zum einen kann die Prüfung nach den Biomasseproduktionspotential (BPP) durchgeführt werden, zum zweiten ist das Bestimmen nach dem volumetrischen Verfahren möglich. Heute wird von den meisten Prüfinstituten nur das volumetrische Verfahren angeboten.
Beim volumetrischen Verfahren wird eine mehrmonatige Lagerung von, aus der Mischung gefertigten, Prüfplatten in Wasser nach [6] durchgeführt. Danach wird die, während der Lagerung gebildete, Menge des Biofilms durch Abschaben und Zentrifugieren bestimmt. Abhängig von der Menge des Biofilms wird eine Einordnung in die drei Klassen M1, M2 und M3 durchgeführt.
Liegt die Menge des extrahierten Biofilms für alle Messungen ≤  0,05 (± 0,02) ml/800 cm2, so ist die Mischung beziehungsweise das Bauteil für den generellen Kontakt mit Trinkwasser geeignet. Dies wird als M1 bezeichnet. Ist die Menge des extrahierten Biofilms für alle Messungen ≤ 0,12 (± 0,03) ml/800 cm2, so ist die Mischung beziehungsweise  das Bauteil nach M2 klassifiziert und kann für größere Dichtungen und Verbindungselemente eingesetzt werden. Bei Werten ≤ 0,20 (± 0,03) ml/800 cm2 wird die Mischung beziehungsweise das Bauteil als M3 klassifiziert und kann für kleinere Bauteile mit wenig Kontaktfläche zu Wasser verwendet werden. Sind einzelne Werte des Biofilms > 0,20 (± 0,03) ml/800 cm2 und/oder steigt die Menge des Biofilms bei mehrfach wiederholter Messung an der gleichen Prüfplatte an, so kann die Mischung nur in der Risikogruppe P4 verwendet werden. Für die Risikoklassen P1 und P3 sind die geforderten mikrobiologischen Eigenschaften, das heißt die geforderte M-Klasse in [2] als Funktion des Konversionsfaktors angegeben. Ein Bauteil besteht die mikrobielle Prüfung damit nur dann, wenn das Bauteil beziehungsweise die Mischung die, aufgrund des Konversionsfaktors FC festgelegte M-Klasse erreicht.
Die Erfahrung zeigt, dass die Untersuchungen mit dem volumetrischen Verfahren sehr lange dauern und dass die Ergebnisse sehr stark streuen. Der Vergleich der Messergebnisse der letzten Jahre stützt die These, dass der Messfehler der volumetrischen Methode größer als der Unterschied der M-Klassen ist. Dies bedeutet für den Mischungsentwickler, dass eine Prüfung meist mehrfach wiederholt werden muss, um eine eindeutige Zuordnung zu erreichen. Eine gezielte Optimierung von Mischungen hinsichtlich der Charakterisierung des mikrobiellen Wachstums ist damit in realistischen Zeiträumen nicht zu bewerkstelligen. Compounds hat deshalb 2021 einen eigenen Prüfstand entwickelt und realisiert, mit dem das Bestimmen des mikrobiellen Wachstums in Anlehnung an das DVGW Arbeitsblatt W270 [9] zeitnah abgeschätzt werden kann. In Bild 3 ist dieser Versuchsaufbau dargestellt.
Der Prüfstand erlaubt die parallele Charakterisierung des mikrobiellen Wachstums an 30 Mischungen. Dies ermöglicht eine Vorentwicklung und eine Korrela­tion zwischen den Mischungsbestandteilen und den mikrobiellen Eigenschaften. Zur externen Zertifizierung werden dann nur die Mischungen mit den am besten vorab getesteten mikrobiologischen Eigenschaften verwendet.
Trotz dieser internen Entwicklung verlängert die anschließende, externe Prüfung und Zertifizierung des mikrobiellen Wachstums die Entwicklungsdauer durch die lange Messdauer und die schlechte Reproduzierbarkeit extrem. Für einen Compoundhersteller ist es deshalb zwingend erforderlich, eine verlässliche, reproduzierbare Methode zur Charakterisierung des mikrobiellen Wachstums zur Verfügung zu haben, die ihn in die Lage versetzt, die Zertifizierung von Mischungen hinsichtlich des mikrobiellen Wachstums zeitnah und mit vertretbaren Kosten extern durchführen zu lassen.

Ein Prüfstand mit vielen schwarzen Prüfbehältern in drei Reihen in einer großen Halle.
Bild 3: Prüfstand zur Beurteilung des mikrobiellen Wachstums in Anlehnung an [9]. (Bild: Compunds)

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2.4 Mechanische und dynamisch-­mechanische Eigenschaften

Die KTW-BWGL stellt hinsichtlich der mechanischen und dynamisch-mechanischen Eigenschaften keinerlei Anforderungen an Bauteile und/oder Mischungen. Im Allgemeinen wird zur Bewertung dieser Eigenschaften auf die, in der DIN EN 681-1 [5] „Elastomer-Dichtungen – Werkstoff-Anforderungen für Rohrleistungsdichtungen für Anwendungen in der Wasserversorgung und Entwässerung“ spezifizierten Eigenschaften verwiesen.
In der Norm DIN EN 681-1 werden Mischungen in Härteklassen von 40 IRHD bis 90 IRHD in 10er Schritten mit einer zulässigen Toleranz von ±5 eingeteilt. Je nach Härte werden unterschiedliche Anforderungen an die mechanischen bzw. dynamisch-mechanischen Eigenschaften gestellt. So muss eine Mischung mit einer Nennhärte von 70(±5) IRHD bei Verwendung in kaltem Wasser und für Systeme zur Entwässerung, Kanalisation und Regenwasserableitung (Typenkennzeichnung WA, WC und WG) eine Bruchdehnung von mindestens 200 % bei einer Bruchspannung von mindestens 9 MPa aufweisen. Des Weiteren wird ein maximaler Druckverformungsrest unter verschiedenen Bedingungen (72 h bei 23 °C und einer Deformation von 15 %, 24 h bei 70 °C und 20 % Deformation, sowie 70 h bei -10 °C und 50 % Deformation) gefordert. Nach einer 7-tägigen Alterung in Luft bei 70 °C darf eine maximal zulässige Änderung der Härte von +8/-5 IRHD auftreten, die Zugfestigkeit darf maximal auf 80 % des Anfangswertes reduziert sein und die Bruchdehnung darf sich nach einer 7-tägigen Alterung nur um +10 % beziehungsweise -30 % bezüglich des Anfangswertes geändert haben.
Zusätzlich wird eine maximale Spannungsrelaxation bei 23 °C nach 7d von 16 % und nach 100d von 23 % gefordert. Die Volumenänderung darf nach einer 7-tägigen Wasserlagerung bei 70 °C nicht kleiner als -1 % und nicht größer als +8 % sein. Abschließend dürfen nach einer Ozonalterung keine Risse erkennbar sein.
Bei Verwendung in heißem Wasser gelten noch zusätzliche Anforderungen hinsichtlich des Weiterreißens, des Druckverformungsrestes bei 125 °C und den mechanischen Eigenschaften nach 7-tägiger Alterung bei 125 °C.

Blaues Schieber-Werkstück eines Wasserwerkes mit Innenansicht.
Bild 4: Mechanischer und teilweise ­­unterirdischer Schieber, der in Wasser­werken eingesetzt wird. (Bild: Dmitry – stock-adobe.com)

2.5 Vulkanisation und Verarbeitungs­verhalten

Neben den Anforderungen an die mechanischen und dynamisch-mechanischen Eigenschaften bestehen zumeist noch Anforderungen der Hersteller hinsichtlich des Vulkanisations- und Fließverhaltens. Dabei ist die Art der Herstellung von Bedeutung. Heutzutage werden zumeist die drei Verfahren Extrusion, Kompression und Spritzguss zur Herstellung von Elastomer Bauteilen für den Kontakt mit Trinkwasser verwendet. Dabei ist die Fertigung im Spritzgussverfahren immer dann von Vorteil, wenn hohe Stückzahlen automatisiert bei kurzen Zykluszeiten hergestellt werden sollen. Aus diesem Grund ist die Fertigung im Spritzgussverfahren in Europa ein defacto Standard.
Allgemein gilt allerdings die Regel, dass Mischungen, die im Spritzgussverfahren verwendet werden können, auch im Kompressions- und mit Einschränkungen auch im Extrusionsverfahren eingesetzt werden können.
Bei der Fertigung im Spritzgussverfahren sind zwei wichtige Parameter zu beachten, die Einspritzzeit und die Zykluszeit. Während des Einspritzvorgangs darf die Mischung nicht anvulkanisieren, da sonst Fließfehler im fertigen Teil auftreten und unter Umständen keine Formfüllung erreicht wird. Um dies zu vermeiden, sollte der Vulkanisationsparameter t10 (die Zeit, nach der eine Probe zu 10 % vernetzt, bzw. vulkanisiert ist) so gewählt werden, dass er deutlich größer als die Injektionszeit ist.
Gleichzeitig darf die Zykluszeit nicht signifikant kleiner als die Vulkanisationszeit des Bauteils sein, da viele mechanische und dynamisch-mechanische Eigenschaften bei ungenügender Vulkanisation deutliche Einbußen aufweisen. Eine Größe, die zur Abschätzung der vollständigen Vulkanisation eines Bauteils verwendet werden kann, ist der Vulkanisationsparameter t90. Er gibt die Zeit an, nach der eine Probe zu 90 % vernetzt, bzw. vulkanisiert ist. Bei großvolumigen Bauteilen kann man davon ausgehen, dass diese nach dem Entformen bei einer 90%igen Vulkanisation noch einige Zeit weiter vernetzen und nach dem Abkühlen fast vollständig vernetzt sind.
Damit ist das ideale Vulkanisationsverhalten einer Mischung beim Verarbeiten mittels Spritzguss durch eine möglichst hohe Anvulkanisationszeit t10 und eine möglichst niedrige Vulkanisationszeit t90 gekennzeichnet. Die Vulkanisationszeit t90 kann durch Erhöhung der Tem­peratur reduziert werden. Dies hat aber seine Grenzen, da mit der Erhöhung der Temperatur auch die Anvulkanisationszeit t10 reduziert wird. Die maximal mögliche Vulkanisationstemperatur ist erreicht, wenn die Zeit, die zum Füllen der Form benötigt wird, der Anvulkanisationszeit t10 entspricht.
Bei schwefelvernetzten Mischungen kann im Gegensatz zu peroxidisch vernetzten Mischungen eine Erhöhung der Anvulkanisationszeit t10 bei verkürzter Vulkanisationsdauer t90 durch eine geschickte Kombination und Dosierung von mehreren Beschleunigern und Retardern erreicht werden. Bei einer peroxidisch vernetzenden Mischung wird der Vernetzungsprozess vom Zerfallsprozess der Peroxide bestimmt. Dieser ist durch eine Reaktion 1. Ordnung gekennzeichnet und kann durch die Variation der Mischungsbestandteile nur in geringem Maße beeinflusst werden. Eine gezielte und getrennte Beeinflussung der Anvulkanisations- und Vulkanisationsdauer ist bei peroxidisch vernetzten Systemen somit nicht möglich.

Zwei Kurvendiagramme neben einander.
Bild 5: Vulkanisationsmessungen mittels MDR bei 180 °C und einer Deformation von 0,5 ° an einer peroxidischen (a) und an mehreren schwefelvernetzten (b) Mischungen bei einer Temperatur von 180 °C. (Bild: Compounds)
Eine Formel in schwarz.
Gleichung 2 (Bild: Compunds)

Bild 5 zeigt in (a) das Vulkanisationsverhalten einer typischen peroxidischen, EPDM basierten Mischung und in (b) die gleiche Messung an mehreren, EPDM basierten, schwefelvernetzten Mischungen. Alle Messung wurden mit einer Rubber Process Analyser (RPA Elite) von TA Instruments durchgeführt. Zur besseren Übersicht ist die Zeitachse in logarithmischer Skalierung dargestellt.
Die Temperatur aller Messungen betrug 180°C bei einem konstanten Scherwinkel von 0.5° und einer Frequenz von 1.667 Hz. Messgröße war das Drehmoment S(t) in dNm. Aus den gemessenen Drehmomentkurven wurde der Umsatz α der Vulkanisation mittels Gl. 2 berechnet.
Dabei ist SMin das Minimum des gemessenen Drehmoments, SMax das Maximum und S(t) gibt das zur Zeit t gemessene Drehmoment wieder.
Bei der peroxidischen Mischung (siehe Bild 5a) ist die Anvulkanisationszeit t10 nach ca. 24 s erreicht, die 90-%ige Vulkanisation nach circa 3,5 min. Bei einem Spritzgussprozess müsste damit die Form in weniger als 24 s gefüllt sein und das Bauteil dann weitere 3 min vulkanisiert werden. Dies gelingt zumeist nur bei kleinen Teilen, größere Volumina können mit diesen kurzen Einspritzzeiten nicht hergestellt werden. Würde die Vernetzungstemperatur reduziert, so würde sich zwar die Einspritzzeit erhöhen, allerdings auf Kosten der Zykluszeit, da deutlich mehr Zeit für die Vulkanisation benötigt würde. Damit wäre eine wirtschaftliche Herstellung erschwert bis nicht mehr möglich. Des Weiteren können beim Zerfall des Peroxids Gase entstehen, die während der Vulkanisation nicht vollständig aus dem Bauteil diffundieren und so zur Bildung von Blasen im Bauteil führen. Zusätzlich muss bei peroxidisch vernetzten Systemen im Anschluss an die Vulkanisation eine meist mehrstündige Temperphase bei erhöhten Temperaturen durchgeführt werden, um die Zerfallsprodukte der Peroxide vollständig aus der Mischung zu entfernen.

Peroxidisch vernetzbare Mischungen werden aus den genannten Gründen zumeist für kleinere Bauteile, wie zum Beispiel O-Ringe verwendet. Sie können aufgrund der höheren Stabilität der gebildeten Netzstellen im Gegensatz zu schwefelvernetzenden Mischungen auch für Anwendungen in heißem Wasser verwendet werden.
Bei großvolumigen Bauteilen, die im Spritzguss gefertigt werden, ist die Schwefelvernetzung sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch sinnvoller. Bei klassischen schwefelvernetzten Systemen können durch die Optimierung der Beschleuniger Zykluszeiten von 3 bis 4 min bei einer t10 Zeit von über 1 min erreicht werden. Dies minimiert die, bei der Vulkanisation benötigte Energie und steigert die Ausbeute bei der Produktion.
In Bild 5b) sind die Vernetzungskurven von drei schwefelvernetzten Mischungen dargestellt. Zwei davon, Mischung T5818 und die in [8] diskutierte, entsprechen den Vorgaben der Positivliste der KTW – BWGL (3. Änderung). Das Vulkanisationsverhalten beider Mischungen zeigt exemplarisch das Problem der geringen Anzahl von Beschleunigern auf der Positivliste. Die beiden Mischungen besitzen eine Anvulkanisationszeit von rund 45 s und eine 90-%ige Vulkanisation nach 5,6 bis 8,5 min.
Dies bedeutet, dass beim Spritzguss von KTW-BWGL [2,3] konformen Mischungen eine deutlich geringere Zeit bis zur Formfüllung zur Verfügung steht und die Ausvulkanisation fast doppelt so lange dauert wie bei herkömmlichen Mischungen. Als Konsequenz sinkt die Produktivität auf die Hälfte. Die zur Vulkanisation benötigte Energie verdoppelt sich durch die deutlich längere Vulkanisationszeit. Gerade dies führt bei den gestiegenen Energiepreisen zu einem extremen Wettbewerbsnachteil für Produktionsstandorte in Westeuropa.
Die dritte, in Bild 5b dargestellte Mischung T5821 mit einer t10 Zeit von 1,2 min und einer t90 Zeit von 3,2 min ist eine Neuentwicklung von Compounds und löst dieses Problem. Die Entwicklung dieser Mischung und die dazu notwendigen Schritte werden im folgenden Abschnitt näher diskutiert.

Eine Hand an einem Terminal mit Tasten an einer großen Anlage.
Bild 6: Herstellung ­einer Trinkwasser­mischung. (Bild: Compounds)

2.6 Konsequenzen der Positivliste der Anlage D der KTW-Bewertungsgrundlage für schwefelvernetzte Mischungen

Im Jahr 2020 wurde von der Compounds AG ein statistischer Versuchsprogram mit dem Ziel gestartet, durch die Kombination aller möglichen Beschleuniger ein möglichst optimales Vulkanisationsverhalten von EPDM basierten Mischungen zu ermöglichen.
In der Positivliste der KTW-BWGL sind Cyclohexylamin, Hexamethylentetramin (HMT), Triisopropanolamin, 2-Mercaptobenzothiazol (2-MBT) und Zink-2-Mercaptobenzothiazol als mögliche Beschleuniger aufgeführt. Alle genannten Beschleuniger und deren Kombinationen in unterschiedlichen Dosierungen waren Grundlage des Versuchsplans.
Neben der Optimierung des Vulkanisationsverhaltens sollten die von der Norm DIN EN 681-1:2006-11 [5] geforderten mechanischen und dynamischen Eigenschaften, sowie die Anforderungen der KTW-BWGL erfüllt werden. Um die Charakterisierung von möglichst vielen Mischungen zu ermöglichen, wurde das Masterbatchverfahren genutzt. Dazu wurde eine Grundmischung ohne Schwefel und Beschleuniger hergestellt. Aus dieser wurde für jeden Beschleuniger ein hochkonzentrierter Masterbatch auf der Walze hergestellt. Durch das Verschneiden der Masterbatche mit der Grundmischung konnten in kurzer Zeit mehr als 300 Mischungen hergestellt und untersucht werden.
In Bild 7 ist das Ergebnis der Studie graphisch dargestellt. Dazu ist auf der ­Y-Achse der Vulkanisationsparameter t90 und auf der X-Achse der Vulkanisationsparameter t10 aufgetragen.
Durch diese Art der Auftragung kann sehr anschaulich gezeigt werden, welche Kombination der beiden Vulkanisationsparameter t10 und t90 durch die Variation und Kombination der Beschleuniger möglich ist. Jedes Symbol in Bild 7 entspricht dem Ergebnis der Vulkametermessung einer Mischung bei 180 °C.
Schon die Betrachtung von Bild 5 zeigt, dass es mit den Beschleunigern der Positivliste und deren Kombinationen nicht möglich ist, wirtschaftlich sinnvolle Vulkanisationsparameter für das Spritzgussverfahren zu ermitteln. Mittels einer mehrdimensionalen Regressionsanalyse lässt sich quantitativ bestimmen, welche Menge und Kombination von Beschleunigern in einer Mischung zu einer maximalen t10 Zeit und einer minimalen t90 Zeit führen. Die schwarze Linie in Abbildung 5 repräsentiert das Ergebnis dieser Regressionsanalyse.
Die Mischung T5818 stellt den, im Rahmen des Machbaren, besten Kompromiss zwischen Anvulkanisationszeit und Zyklusdauer dar, der nach den Regularien der KTW-BWGL erreichbar ist.
Nichtsdestotrotz stellen diese Werte die Hersteller von Spritzgussteilen vor erhebliche Herausforderungen. So muss zumeist eine aufwendige Anpassung der Prozessparameter erfolgen und eine signifikante Verlängerung der Zykluszeit in Kauf genommen werden. Dies bedeutet, dass sowohl die Effizienz der Produktion als auch deren Energiebedarf deutlich steigt.
Somit wird durch die in der KTW-BWGL geforderten Rezepturänderungen zwar eine bessere Charakterisierung der trinkwasserrelevanten Anforderungen und eine quantitative Beurteilung der verwendeten Inhaltsstoffe möglich, allerdings auf Kosten einer signifikant geringeren Rentabilität und massiv höherer Energiekosten bei der Produktion.

Diagramm mit vielen kleinen Punkten.
Bild 7: Vulkanisationsparameter t10 und t90 bei Variation der Beschleuniger. (Bild: Compounds)

2.7 Erweiterung der Positivliste

Um dieses Problem zu lösen, hat sich das Unternehmen im Jahr 2022 dazu entschlossen, die Zulassung eines weiteren Beschleunigers auf die Positivliste zu beantragen. Notwendig dazu waren diverse Vorstudien zur quantitativen Bestimmung des Migrationsverhaltens und der Bewertung des toxikologischen Potentials des Beschleunigers und seiner Zerfalls- beziehungsweise Reaktionsprodukte.
Mit der Veröffentlichung der 4. Änderung der KTW-BWGL im Januar 2024 [10] wird die Substanz N-Cyclohexylbenzothiazol-2-sulfenamid (CBS) mit gewissen Einschränkungen als zusätzlicher Beschleuniger auf der Positivliste geführt. Der Grund für die Beantragung beziehungsweise Listung von CBS wird klar, wenn die bei der Vulkanisation ablaufenden Reaktionen betrachtet werden. Dabei wird die instabile Schwefel-Stickstoff-Bindung des CBS gespalten und ein 2-Mercaptobenzothiazol (MBT)-Radikal als Zwischenprodukt gebildet. Dieser Zwischenschritt benötigt Zeit und erhöht somit die Anvulkanisationszeit t10. Deutlich wird dies in Bild 7 am Beispiel der Mischung T5821 (grünes, gefülltes Symbol). Die Vulkameterkurve dieser Mischung ist in Bild 5b dargestellt. Bei dieser Mischung wurde CBS als eine weitere Beschleunigerkomponente verwendet und das System hinsichtlich der t10 und t90 Zeiten optimiert. Der Effekt ist eine deutliche Erhöhung der t10 Zeit bei einer Vulkanisationszeit t90 von ca. 3.2 min. Durch die zusätzliche Verwendung des Beschleunigers CBS kann ein Vernetzungsverhalten erreicht werden, dass eine kostengünstige und energiesparende Fertigung von Bauteilen für den Kontakt mit Trinkwasser erlaubt.
Abschließend soll die Notwendigkeit einer vollständigen Vulkanisation zur Erreichung der in der Norm DIN EN 681-1 [6] spezifizierten, mechanischen Eigenschaften am Beispiel des Druckverformungsrestes demonstriert werden. In Bild 7 ist der Zusammenhang zwischen dem Vulkanisationsgrad (siehe Gl. 2) und dem Druckverformungsrest (bestimmt nach DIN ISO 815-1, Verfahren B) für die Mischung T5821 dargestellt.
Dabei wurden Musterplatten der Mischung unterschiedlich lange vulkanisiert und der Druckverformungsrest in Abhängigkeit der Vulkanisationszeit ermittelt. Parallel dazu wurde der Vulkanisationsgrad durch Vulkametermessungen bestimmt. Es zeigte sich, dass der bei 70 °C gemessene Druckverformungsrest linear vom Vulkanisationsgrad abhängt. Dieser Zusammenhang ist nahezu unabhängig von der Temperatur der Vulkanisation und gilt qualitativ sowohl für schwefel- als auch für peroxidisch vernetzende Systeme.
Aus Bild 8 wird deutlich, dass zum Erreichen des von der DIN EN 681-1 geforderten Druckverformungsrestes von maximal 20 % ein Vulkanisationsgrad größer 90 % zwingend erforderlich ist. Durch das Optimieren beziehungsweise Erweitern des Beschleunigersystems kann dieser Vulkanisationsgrad im Spritzgussverfahren in wirtschaftlich vernünftigen Zeiträumen erreicht werden.

Diagramm mit verschiedenen Werten und Achsenbeschriftung.
Bild 8: Zusammenhang zwischen dem Vulkanisationsgrad α und dem Druckverformungsrest DVR (70 °C/24 h/25 %) für die Mischung T5821. (Bild: Compounds)

3. Zusammenfassung

Die Entwicklung von Elastomermischungen für den Kontakt mit Trinkwasser ist aufgrund der Normenvielfalt in Europa äußerst komplex, da landesspezifische rechtliche Anforderungen und Normen stark variieren und neue Vorschriften wie zum Beispiel die KTW-BWGL in Deutschland eingeführt wurden. Ab 2026 wird eine europäische Regelung der Rechtsakte auf Basis der Trinkwasser Richtlinie erwartet, die trinkwasserhygienische Mindestanforderungen an alle Produkte im Kontakt mit Trinkwasser stellen und eine europaweit einheitliche Bewertung ermöglichen soll. Bis zur Einführung der europäischen Regularien ist im deutschsprachigen Raum, sowie in vielen Teilen Europas, die vom deutschen Umweltbundesamt verabschiedete und seit März 2023 gültige Bewertungsgrundlage KTW-BWGL die wichtigste Entwicklungsgrundlage.
In der KTW-BWGL sind alle, in Elastomermischungen erlaubten, Bestandteile in einer Positivliste zusammengefasst. Des Weiteren sind alle Verfahren zur hygienischen Qualifizierung, wie die Bestimmung und Bewertung des Migrationsverhalten, sowie die Art der Charakterisierung des mikrobiellen Bewuchses, beschrieben. Bauteile, die in Kontakt mit Trinkwasser kommen, müssen den Anforderungen der KTW-BWGL entsprechend zertifiziert sein. Dabei wird nach anwendungsspezifischen Risikoklassen und Migrationsstufen unterteilt.
Die Produktion von Bauteilen erfolgt in Europa aus wirtschaftlichen Gründen zum Großteil im Spritzgussverfahren. Dieses Verfahren stellt spezielle Anforderungen an das Vulkanisationsverhalten der eingesetzten Kautschukmischung. So sollte die Zeit bis zum Start der Vulkanisation, die durch den Vulkanisationsparameter t10 messbar ist, möglichst hoch sein um eine vollständige Formfüllung ohne Fließfehler zu gewährleisten. Wirtschaftlich wird das Spritzgussverfahren, wenn die Zykluszeiten so kurz wie möglich sind. Die Zykluszeit kann durch den Vulkanisationsparameter t90 charakterisiert werden. Ein Erhöhen der Zykluszeit führt dabei nicht nur zu einer reduzierten Produktivität, sondern als weitere Konsequenz zu einem deutlich gesteigerten Energiebedarf pro vulkanisiertem Teil.
Ein Optimieren der Vulkanisationsparameter kann nur mit schwefelbasierten Systemen durch die Kombination mehrerer Beschleuniger erreicht werden. Bei peroxidisch vernetzten Systemen wird die Kinetik der Vernetzung durch den Zerfall der Peroxide bestimmt. Diese kann nur in sehr geringem Umfang durch die Mischungszusammensetzung beeinflusst werden.
Auf der Basis eines aufwendigen Versuchsplans konnte gezeigt werden, dass mit den, auf der Positivliste der KTW-BWGL [2] aufgeführten Beschleunigern keine wirtschaftliche und energiesparende Vulkanisationscharakteristik erreicht werden kann. Das Optimum der auf dieser Basis hergestellten Mischung stellt die Mischung T5818 dar. Diese Mischung repräsentiert hinsichtlich t10 und t90 den besten Kompromiss. Allerdings bedeutet dies in vielen Fällen eine aufwändige Anpassung der Produktionsparameter und eine signifikante Zunahme der Produktionskosten durch den Mehraufwand an Energie und die reduzierte Ausbeute.
Aus diesem Grund hat Compounds 2022 die Zulassung eines weiteren Beschleunigers auf die Positivliste der KTW-BWGL beantragt. Mit der Veröffentlichung der 4. Änderung der KTW-BWGL im Januar 2024 [10] D wird die Substanz N-Cyclohexylbenzothiazol-2-sulfenamid (CBS) als zusätzlicher Beschleuniger auf der Positivliste geführt.
Die Verwendung des CBS in einem optimierten Beschleunigersystem verzögert den Start der Vulkanisation bei einer Temperatur von 180 °C auf über eine Minute bei einer Vulkanisationszeit im Bereich von 3 bis 4 min.
Dies ermöglicht die Erstellung einer neuen Generation von schwefelbasierten Mischungen für den Kontakt mit Trinkwasser, die speziell im Spritzgussverfahren, ein optimiertes Vulkanisationsverhalten und damit eine kostengünstige und energiesparende Fertigung von Bauteilen erlauben.


Danksagung
Wir möchten speziell Herrn R. Brandsch für die große fachliche Unterstützung beim Erarbeiten des Verständnisses der durchaus sehr komplexen rechtlichen Anforderungen danken.

Literatur
[1]   Elastomerleitlinie: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5620/dokumente/elastomerleitlinie_verweis_pl_de_qs.pdf und https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5620/dokumente/uebergangsregelung_ell_2._Aenderung_de4863.pdf, Abrufdatum 14.2.2024.
[2]   Bewertungsgrundlage für Kunststoffe und andere organische Materialien im Kontakt mit Trinkwasser:https://www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/trinkwasser/trinkwasserverteilen/bewertungsgrundlagen-leitlinien#bewertungsgrundlage-fur-kunststoffe-und-andere-organische-materialien-im-kontakt-mit-trinkwasser; Abrufdatum 14.2.2024.
[3]   KTW-BWGL Version vom 7.3.2022 unter Berücksichtigung der der 3. Änderung Rev01, Umweltbundesamt, Fachgebiet II 3.4, Heinrich-Heine-Str. 12, 08645 Bad Elster.
[4]   Anlage der Bewertungsgrundlage für Kunststoffe und andere organische Materialien im Kontakt mit Trinkwasser (Polymerspezifischer Teil).
[5]    DIN EN 681-1:2006-11, Elastomer-Dichtungen – Werkstoff-Anforderungen für Rohrleitungs-Dichtungen für Anwendungen in der Wasserversorgung und Entwässerung – Teil 1: Vulkanisierter Gummi mit Berichtigung 1 von 2021-06.
[6]   DIN EN 16421:2015-05, Einfluss von Materialien auf Wasser für den menschlichen Gebrauch – Vermehrung von Mikroorganismen.
[7]   Konformitätsbestätigung der trinkwasserhygienischen Eignung von Produkten, ­https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5620/dokumente/­anlage_1_empfehlung_konformitaetsbestaetigung_3.aenderung_juli21_de_nur_­redakt_anpassungen_final.pdf; Abrufdatum 14.2.2024.
[8]   Kautschukmischungen für den Einsatz im Trinkwasserkontakt, KGK 05/2020.
[9]   DVGW W 270:2007-11, Vermehrung von Mikroorganismen auf Werkstoffen für den Trinkwasserbereich – Prüfung und Bewertung.
[10] Bekanntmachung der 4. Änderung der KTW-BWGL vom 21.12.2023.

Quelle: Compounds AG

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