Frau in Flip Flops neben Bananenschale.

Aus Bananenschalen werden Füllstoffe in Schuhsohlen. (Bild: Kuori)

Stellen Sie sich vor, Sie gehen in der Natur spazieren, genießen die frische Luft und erfreuen sich an der Biodiversität, die die Natur zu bieten hat. Plötzlich bemerken Sie eine Person, die ihren Plastikabfall sorglos in die Umgebung wirft. Für die meisten von uns, ist ein solches Verhalten undenkbar, da wir die Natur und ihre Unversehrtheit respektieren. Doch was, wenn Sie mit jeder Ihrer Bewegungen, bei jedem Schritt, den Sie setzen, unbeabsichtigt und unbewusst ebenfalls zur Verschmutzung beitragen? Jede Person generiert jährlich etwa 100 g Mikroplastik allein durch den Abrieb der Schuhsohlen. Eine omnipräsente Umweltverschmutzung, die weitreichende Konsequenzen für Ökosysteme auf der ganzen Welt hat. Das Problem des Mikroplastiks ist nicht auf das sichtbare Wegwerfen von Plastikabfall beschränkt, sondern manifestiert sich auch durch alltägliche Aktivitäten und Gebrauchsgegenstände.

Hier setzt das Schweizer Start-up Kuori an. Dieses entwickelt biobasierte und biologisch abbaubare Elastomere, um der unsichtbaren Plastikflut entgegenzuwirken. Dazu entwickelt und produziert das Unternehmen Materialien, die nicht nur leistungsfähig, sondern auch umweltverträglich sind. Dafür werden Seitenströme der Lebensmittelindustrie, wie beispielsweise Bananen- oder Nussschalen verwendet. Diese biologischen Abfälle durchlaufen zunächst eine sorgfältige Vorbehandlung, um sie für die Verarbeitung vorzubereiten. Im darauffolgenden Compoundierprozess werden sie mit Biopolymeren und ausgewählten Additiven kombiniert, wodurch ein Biokomposite entsteht. Hier spielt die Anpassung der Materialeigenschaften an die spezifischen Bedürfnisse der finalen Anwendungen eine entscheidende Rolle. Unter Zugriff auf eine umfangreiche Bibliothek von Rohstoffen werden die Eigenschaften der entstehenden Materialien angepasst, um sie für eine Vielzahl von Anwendungen zu optimieren, sodass sie Teil eines ökologisch bewussten und effizienten Produktionskreislaufs sind.

Herausforderungen: Lieferketten und Lösung

Biologische Abfallprodukte wie Nuss- und Bananenschalen werden dabei als wertvolle Rohstoffe betrachtet und bilden das Zentrum der Materialentwicklung. Die Beschaffung der Rohstoffe erfordert jedoch unterschiedliche Ansätze. Bananenschalen, obwohl als Nebenprodukt der Lebensmittelindustrie übersehen, bergen dabei ein enormes Potenzial. Gewöhnlich werden sie, als natürlicher Bestandteil der Früchte, über weite Strecken von tropischen Produktionsgebieten bis nach Europa transportiert, um am Ende häufig ungenutzt entsorgt zu werden. Eine stoffliche Nutzung der Bananenschalen erfolgt bisher nicht. Hier musste daher eine eigene Lieferkette aufgebaut werden, um diese Ressource zu einem Bestandteil der Materialproduktion zu machen. Durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Vertretern des Schweizer Einzelhandels sowie aus dem Bereich der Nahrungsmittelproduktion, konnte ein Netzwerk geschaffen werden, das die Bananenschalen vor der Entsorgung bewahrt und ein zweites Leben als Bestandteil neuer Produkte ermöglicht. Dieser Ansatz reduziert nicht nur Abfall, sondern nutzt auch eine Ressource, die bereits vorhanden, aber bisher ungenutzt ist.

Bei den Nussschalen stellt sich die Situation anders dar. Im Gegensatz zu Bananenschalen verfügen sie über etablierte Lieferketten und werden bereits in diversen Industriezweigen, beispielsweise in der Kosmetikindustrie als Peelingmittel, verwendet. Dies bedeutet, dass die Nussschalen regulär bezogen werden können, um sie in die Produktion zu integrieren. Das Verwenden von Nussschalen unterstreicht dabei das Bemühen in den Bereichen Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit, indem vorhandene Rohstoffe in neuen Kontexten eingesetzt werden. Hierdurch wird deren Nutzen maximiert und gleichzeitig die Notwendigkeit für zusätzliche Materialproduktion minimiert. Diese Beispiele unterschiedlicher biologischer Abfallprodukte zeigen, welches tiefgreifende Verständnis für die Komplexität und die Möglichkeiten innerhalb nachhaltiger Produktentwicklung nötig ist, um zum Erfolg zu kommen. Der gezielte Blick auf bisher übersehene oder wenig genutzte Ressourcen ebnet den Weg für innovative Materialien, die sowohl leistungsfähig als auch umweltverträglich sind und ermöglicht die Vereinigung von Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit.

Kreis mit verschiedenen kleinen Zeichnungen in schwarz.
Vision eines geschlossenen Materialkreislaufs: Biokomposite werden aus natürlichen Ressourcen hergestellt und am Ende des Produktlebenszyklus kompostiert. Die Produkte der Kompostierung können erneut zur Materialproduktion verwendet werden. (Bild: Kuori)

So werden andere Lebensmittel­seitenströme verwertet

Um das Portfolio zu erweitern und weniger abhängig von wenigen spezifischen Rohstoffen zu sein, arbeitet Kuori kontinuierlich daran, auch andere Abfallströme für eine Verwendung in den entwickelten Materialien zu nutzen. Dies beginnt mit einem rigorosen Auswahlpfad, bei dem potenzielle Ressourcenströme hinsichtlich ihrer Herkunft, Qualität, Verfügbarkeit und ihres allgemeinen Zustands – insbesondere des Wassergehalts – bewertet werden. Fällt die erste Einschätzung positiv aus, werden die Rohstoffe einem intensiven Charakterisierungsprozess unterzogen, bei dem mechanische, thermische und chemische Eigenschaften im Labor überprüft werden. Abhängig von der Eignung des Rohstoffs können verschiedene Vorbehandlungsverfahren notwendig sein, um die Materialien für den Produktionsprozess vorzubereiten. Diese strategische Vorgehensweise ermöglicht es, den Anforderungen jedes spezifischen Rohstoffs gerecht zu werden, eine konsistente Produktion zu gewährleisten und gleichzeitig eine Erweiterung der möglichen Eigenschaften der Materialien zu realisieren.

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Innovation durch Formulierung von Biokompositen

In der Formulierungsphase wird der Grundstein für die spezifischen Eigenschaften des Endprodukts gelegt, indem auf eine ausführlich evaluierte Bibliothek von Biopolymeren und Additiven zurückgegriffen wird. Besondere Aufmerksamkeit wird daraufgelegt sicherzustellen, dass alle Komponenten möglichst biologisch basiert und abbaubar sind. Mit einem biobasierten Anteil von 45 bis 65 Gewichtsprozent – je nach gewünschten Materialeigenschaften – ist man dabei zwar auf einem guten Weg, aber sicher noch nicht am Ziel.
Der Kern des Formulierungsprozesses ist das akkurate Einstellen der Materialeigenschaften, wobei essenzielle Aspekte wie Härte, Elastizität, Dauerhaftigkeit, Abbaubarkeit und Farbgebung des Materials berücksichtigt werden. Aufbauend auf Erfahrung, Know-how und umfassenden Tests wird gewährleistet, dass die resultierenden Materialien den spezifischen Anforderungen gerecht werden. Die Anwender haben dabei die Möglichkeit, aus bestehenden Materialoptionen zu wählen oder aber, unter Berücksichtigung spezieller Anforderungen, die Materialeigenschaften durch gezielte Formulierung anzupassen. Hierbei entstehen maßgeschneiderte Lösungen, die in enger Zusammenarbeit mit den Kunden und basierend auf ihren konkreten Bedürfnissen entwickelt werden.

Dabei arbeitet das Unternehmen eng mit dem Institut für Kunststofftechnik der Fachhochschule Nordwestschweiz zusammen und profitiert dabei sowohl von der Infrastruktur der Hochschule als auch von der langjährigen Erfahrung der dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kunststofftechnologie. Grundsätzlich handelt sich bei allen entwickelten Materialien um thermoplastische Elastomere, die mittels konventioneller Formgebungsprozesse, wie Spritzguss, Extrusion oder 3D-Druck, verarbeitet werden können. Hier präsentiert sich also eine „Drop-in“-Lösung, die kein Anpassen der Maschinen erfordert, sondern lediglich eine Modifikation der Verarbeitungsparameter. Als primäre Anwendung sei hier die erwähnte Schuhsohle genannt – ein Bereich, indem das Material besonders sinnvoll eingesetzt werden kann. Doch der Horizont ist breit und reicht von Outdoor-Anwendungen wie Sportgeräten, Gartengeräten oder Kleidung und Textilien bis hin zu Alltagsprodukten, wobei hier insbesondere Uhrenarmbänder als Beispiel einer typisch schweizerischen Anwendung genannt werden sollten.

Prototypen und Partnerschaften

Um die Materialien für verschiedene Anwendungen zu erproben, wird auf kollaborative Prototypenentwicklung gesetzt. Die Zusammenarbeit mit Partnern und Anwendern ist dabei geprägt von einem interaktiven und flexiblen Ansatz: Einerseits fertigen Interessenten Prototypen eigenständig unter Verwendung von Materialmustern, andererseits übernimmt Kuori die Produk­tion von Prototypen. Die Grundlage der Prototyperstellung ist die 3D-Drucktechnologie. Dabei wird ein Pelletdrucker eingesetzt, der es ermöglicht die Phase der Filamentherstellung zu überspringen und direkt aus dem hergestellten Granulat zu drucken. So konnten bereits verschiedene Projekte erfolgreich realisiert werden, wie zum Beispiel Komponenten eines Kinderwagens – inklusive der Reifen – sowie Elemente einer Schuhsohle und sogar ein vollständiger Flip-Flop.

Verschiedene Anwendungen von Alltagsgegenständen aus Granulat von Biokunststoffen.
Anwendungsbeispiele: Kuori-Granulat (oben) auf Basis von Bananenschalen (dunkel) und Nussschalen (hell) und Anwendungsbeispiele. mittig: Prototyp von Vollgummireifen für einen Kinderwagen (3D-Druck); unten links: Uhrenarmbänder (Spritzguss); unten rechts: Schuhsohle Wildling
Barfußschuh (Heißpresse). (Bild: Kuori/Bild mittig: Loopi)

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Warum biologische Abbaubarkeit wichtig ist

Die Frage der biologischen Abbaubarkeit von Materialien ist in der modernen Kreislaufwirtschaft von entscheidender Bedeutung. Sie hat weitreichende Auswirkungen auf die Umwelt, insbesondere in Bezug auf das globale Problem der Mikroplastikverschmutzung. Wie bereits beschrieben, setzt jeder Schritt, der in herkömmlichen Schuhen erfolgt, Mikroplastik frei. Hier setzten die biologisch abbaubaren Materialien an. Es werden ausschließlich Rohstoffe genutzt, die mindestens die Norm für industrielle Kompostierbarkeit erfüllen. Als Mikroplastik werden sie aufgrund ihrer großen Oberfläche bei geringem Volumen effizient abgebaut. Interne Tests unter simulierten Realbedingungen zeigen, dass das Mi­kro­plastik der Biokomposite innerhalb weniger Monate im Boden abgebaut wird. Eine unabhängige Validierung dieser Resultate erfolgt zurzeit durch die Fachgruppe Umweltbiotechnologie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. Es ist jedoch zu beachten, dass die Geschwindigkeit des biologischen Abbaus stark von den Umweltbedingungen abhängt. Ein Baumstamm im Wald mag rasch verfallen, doch unter anderen Bedingungen, beispielsweise als antikes Möbelstück, kann Holz über Jahrhunderte hinweg erhalten bleiben. Diese Nuancen verdeutlichen, dass biologische Abbaubarkeit alles andere als ein starres Konzept ist. Es ist daher entscheidend, sowohl den Kontext als auch die Umweltbedingungen zu berücksichtigen. Die Vision geht aber über die bloße biologische Abbaubarkeit des Sohlenabriebs hinaus. Es muss der gesamte Materiallebenszyklus in den Blick genommen werde: von der Herstellung der Materialien aus erneuerbaren Ressourcen über die Nutzung bis hin zum Rückführen in den Produktionszyklus nach der Kompostierung oder Biogasgewinnung. Ziel ist es, einen echten geschlossenen Kreislauf zu schaffen, der die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft verkörpert.

Die Zukunft nachhaltiger Elastomere

Abschließend lässt sich feststellen, dass innovative nachhaltige Materialien entwickelt werden, die konventionelle Elastomere ersetzen können. Dabei können die Materialeigenschaften je nach Anwendung angepasst werden – in Bezug auf Dauerhaftigkeit, Härte, Elastizität oder andere Charakteristika. Gleichzeitig wird bereits an einem weiteren Elastomer gearbeitet, das auf einer völlig neuen Polymerchemie basiert. Bemerkenswert ist hierbei, dass dieses neue Material von Anfang an vollständig biobasiert und biologisch abbaubar konzipiert wurde. Dieses Projekt findet in einer internationalen Zusammenarbeit statt, die durch das
Eureka Eurostars Programm der Europäischen Union unterstützt wird.

Quelle: Kuori

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