Mann mit braunen kurzen Haaren im blauen Anzug mit blauer Krawatte.

Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer ADK (Bild: Niedersachsen Metall)

Herr Schmidt, Energie, Arbeitskräfte, Rohstoffe und die Bürokratie, das sind die Hauptthemen, die derzeit die deutsche Wirtschaft bewegen.

Wie würden Sie diese gewichten, welches Thema läge weshalb auf Platz 1?

Massiv gestiegene Energiekosten, Inflation, Fachkräftemangel, Engpässe bei Rohstoffen und Vormaterialien, Transformationsdruck sowie ein stetig wachsender, bürokratischer Aufwand – dies sind Aspekte, die zusammengenommen maßgeblich für die kritische Lage sind, in der sich unsere Industrie und insbesondere die Automobilwirtschaft derzeit befinden. Betrachtet man nur die Kostensteigerungen der Betriebe unserer Branche seit 2021, so gaben neun von zehn Unternehmen in unserer jüngsten Umfrage an, dass die exorbitanten Preissteigerungen für Energie die maßgebliche Ursache sind. Dies liegt darin begründet, dass unsere Industrie vergleichsweise energieintensiv ist. Auch die Kosten für Vorleistungsmaterialien sind massiv gestiegen, wozu ganz wesentlich auch Steigerungen in den Lieferketten beigetragen haben. In der Kautschukindustrie ist es uns zwar gelungen, einen vergleichsweise moderaten Tarifabschluss zu erzielen, dennoch musste dieser auch die deutlich steigende Inflation mitberücksichtigen und ist für unsere Unternehmen bei Lohnquoten von 35 bis 40 % schon ein erheblicher Kostenfaktor. Blickt man jedoch auf die Investitionen in diesem Jahr, so belegen die hohen Energiekosten nur den zweiten Platz unter den Gründen, weshalb drei Viertel der Betriebe im Automotive-Bereich ihre Investitionen nicht erhöhen oder sogar zurückfahren wollen. Angesichts der Tatsache, dass die Automobilindustrie am stärksten unter Transformationsdruck steht, mithin also kräftig investieren müsste, ist diese Entwicklung besonders fatal. Maßgeblich für die Investitionszurückhaltung sind für die meisten Unternehmen die schlechte Ertragslage und fehlende Planbarkeit. Dazu kommt die immer weiter zunehmende Bürokratie: Unternehmen werden mit bürokratischen Ungetümen wie dem Lieferkettensorgfaltsgesetz zunehmend belastet. Dies bindet Personalkapazitäten und verursacht immense Kosten.

Viele Kautschukverarbeiter beliefern die Automobilindustrie - Dort findet derzeit durch den Umstieg auf die Elektromobilität ein regelrechter Strukturbruch statt.

Haben sich die Unternehmen rechtzeitig durch Anpassung oder Branchenwechsel umorientiert?

Was derzeit in der Automobilzulieferindustrie stattfindet, ist nicht weniger als eine „Operation am offenen Herzen“. Eine Operation, die durch die politisch vorgegebene Transformation herbeigeführt ist, das Setzen immer schärferer CO2-Grenzwerte mit dem Ziel, 2035 nur noch batteriebetriebene Fahrzeuge in der EU neu zuzulassen. Und diese Operation am offenen Herzen wirkt zurück auf Investitionen, auf Kapitalbildung und damit auf künftige Wertschöpfung in unserem Land. Die Transformation gibt es nicht zum Nulltarif, dies muss man auch gegenüber der Politik immer wieder deutlich machen. Denn Autozulieferer, denen die Umsätze aus Verbrennerfahrzeugen auch als Folge immer neuer Vorgaben aus Brüssel und Berlin wegbrechen, können nicht gleichzeitig im großen Stil in Dekarbonisierung, Digitalisierung und neue Antriebstechnologien investieren. Schon gar nicht, wenn OEMs sich in erster Linie auf margenstarke Fahrzeuge konzentrieren, die Palette der Verbrennerfahrzeuge ausdünnen und das Produktionsvolumen insgesamt zurückfahren müssen. Denn Zulieferer profitieren erfahrungsgemäß von hohen Mengen, nicht aber von wenigen hochpreisigen Fahrzeugen. Damit schrumpft der für Investitionen notwendige Cash Flow. Dazu kommt die Marktmacht der OEMs. Zulieferer sind selten Single Supplier und haben deshalb kaum Möglichkeiten, ihre gestiegenen Kosten an die Hersteller vollständig weiterzugeben. Viele Zulieferer hängen in langjährigen Lieferverträgen mit fixen Konditionen, die den scharfen Anstieg der Energiekosten und Vorleistungsmaterialien nicht abbilden. Nicht selten fahren Zulieferer deshalb mit einem Auftrag Verluste ein. Ich fasse also zusammen: Wegbrechende Umsätze aufgrund schrumpfender Absatz-märkte, bei gleichzeitig stark steigenden Kosten, aus einer derartigen Sandwich-Position heraus, kann kein Unternehmen große Klimmzüge bei den Investitionen machen. Dennoch fordert die Politik gebetsmühlenartig mehr Investitionen, obwohl in erster Linie Brüssel und Berlin die verfahrene Lage überhaupt erst verursacht haben – und im Übrigen weiter verschärfen. Und besonders intelligente Zeitgenossen werfen der Autozulieferindustrie dann auch noch vor, die Zukunft zu verschlafen. Die bittere Wahrheit ist jedoch: In einer solchen Situation bleibt vielen Zulieferern schlussendlich nur noch die Schließung von Produktionsstandorten oder die Verlagerung von Produktionskapazitäten an kostengünstigere Standorte. Dieser Trend hat in den vergangenen Monaten spürbar an Fahrt aufgenommen und wird sich weiter fortsetzen.

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Der Fachkräftemangel hat sich zu einem Arbeitskräftemangel ausgeweitet. Welche Maßnahmen ergreift der ADK, um die Fachkräfte in der Kautschukbranche zu halten?

Es gibt mittlerweile in nahezu allen Branchen eine Knappheit an Fachkräften. Schon heute fehlen in Deutschland über 300.000 Fachkräfte im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Für die langfristigen Perspektiven einer hoch entwickelten Industrienation wie unserer, die fast keine natürlichen Rohstoffvorkommen hat, sind genügend Fachkräfte im industriellen Bereich elementar. Denn „der Rohstoff in den Köpfen“ ist es, der für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit ausschlaggebend ist. Als ADK unterstützen wir unsere Mitgliedsunternehmen natürlich auf vielfältige Weise, um für unsere Branche zu werben und Fachkräften die Vielfältigkeit und die glänzenden Karrierechancen in der Welt von Kautschuk und Kunststoff nahezubringen. Etwa durch unser neues Mitarbeiter-Magazin Kautschuk, welches die Unternehmen in ihren Betrieben auslegen. Oder durch die Förderung von Aus- und Weiterbildungsangeboten, beispielsweise an der Technikerschule Gelnhausen oder am Deutschen Kautschukinstitut in Hannover sowie natürlich durch die Ideen-Expo! Jedoch muss man differenzieren: Noch bezieht sich der Mangel an Personal in unseren Betrieben hauptsächlich auf qualifizierte Kräfte, nicht auf Arbeitskräfte allgemein. Es gibt in Deutschland allein 2,7 Millionen registrierte Arbeitslose, während auf der anderen Seite zwei Millionen offene Stellen nicht besetzt werden können. Ein großer Teil der Arbeitslosen besitzt keine oder kaum berufliche Qualifikation, andererseits werden hunderttausendfach Jobs für einfache Tätigkeiten angeboten. Angesichts dieser Situation die Anreize zur Aufnahme einer Arbeit kontinuierlich zu senken, wie es mit der Einführung des Bürgergeldes und jüngst dessen kräftiger Erhöhung geschieht, ist und bleibt nicht nachvollziehbar. Mit sozialer Marktwirtschaft hat das alles nichts mehr zu tun.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, dem demografischen Wandel entgegenzuwirken?

Natürlich werden Dekarbonisierung, Automatisierung und Digitalisierung in Zukunft eine immense Rolle in den Unternehmen der Kautschukbranche spielen. Doch hierfür sind enorme Investitionen nötig. Diese zu stemmen, wird vor allem für Automobilzulieferer eine Herkulesaufgabe sein. Zudem kann und wird Technik den Menschen in den Betrieben nicht komplett ersetzen. Es werden sich die Aufgaben verlagern. Weg von Routinetätigkeiten am Band hin zu komplexeren Tätigkeiten wie der Programmierung und Wartung der Anlagen. Automatisierung und Digitalisierung können deshalb nur ein Baustein in der Bekämpfung des demografischen Wandels sein. Wichtiger bleibt es, Nachwuchskräfte für unsere Branche zu gewinnen und entsprechend zu qualifizieren. Dies wird jedoch nur gelingen, wenn die junge Generation in der KuK-Branche auch eine berufliche Zukunft sieht.

Und noch viel wichtiger: Welche Maßnahmen unternimmt oder unterstützt der Verband, um Nachwuchskräfte zu gewinnen?

Junge Menschen haben ein großes Interesse an naturwissenschaftlichen und technischen Zusammenhängen und halten sie für unverzichtbar für die Zukunft, wie eine Allensbach-Studie in unserem Auftrag erst unlängst gezeigt hat. Aber der Link zwischen „finde ich extrem wichtig“ und „hier möchte ich beruflich Fuß fassen“ ist unterentwickelt. Das liegt meiner Meinung nach in einem tiefverwurzelten Negativbild von Mathe und Naturwissenschaften als Schulfächer, Stichwort schwere Fächer. Dazu kommt, dass Naturwissenschaften und Technik auch mit vielen Vorurteilen behaftet sind. Zum Beispiel, dass Frauen in diesen Berufen keine Chancen hätten. Auf der Ideen-Expo in Hannover, Europas größter Technikshow für Jugendliche, zeigen wir alle zwei Jahre, dass das völliger Quatsch ist. Und wir erzeugen Begeisterung für Naturwissenschaften und Technik. Auszubildende zeigen unseren jugendlichen Besuchern anhand selbst entwickelter Mitmach-Stationen, wie Technik funktioniert. Und erklären, warum sie sich für eine Ausbildung, etwa zum Kunststoff- und Kautschuktechnologen, entschieden haben, allen Image-Problemen der dualen Ausbildung zum Trotz. Aussteller und Besucher sprechen auf der Ideen-Expo die gleiche Sprache, haben die gleiche Kommunikationsebene – und das funktioniert!

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Sollten die Schocks und Krisen überwunden werden können, wo steht die Kautschukbranche in fünf Jahren?

Die deutsche Kautschukindustrie, und vor allem unsere Betriebe aus der Autozulieferbranche, steuern aktuell durch sehr schwierige Fahrwasser. Eine zuverlässige Prognose ist angesichts der multiplen Krisen, die momentan aufeinander einwirken und ihre Effekte dadurch verstärken, nur schwer möglich. Es kommt jetzt mehr denn je auf eine besonnene, rationale Wirtschaftspolitik an, die die Grundrechenarten berücksichtigt, und damit meine ich: die die Bedeutung des Unternehmertums als tragende Säule für den Industriestandort Deutschland begreift und nachzuvollziehen imstande ist. Ideologien und Dogmatismus sind nicht nur fehl am Platz, sie sind schlicht brandgefährlich. Denn die Missachtung ökonomischer Gesetzmäßigkeiten durch die Politik führt dazu, dass große Teile unserer Industrie wegbrechen. Durch Standortschließungen, Produktionsverlagerungen und den Abzug von Investitionen in Forschung und Entwicklung aus unserem Land. Dieser Trend ist schon jetzt zu beobachten. Jeder achte KuK-Betrieb hat im vergangenen Jahr mindestens Teile der Produktion ins Ausland verlagert, für das laufende Jahr plant dies jeder siebte Betrieb. Die Investition in ausländische Standorte hilft zwar dabei, neue Märkte zu erschließen und durch preisgünstige Zulieferungen heimische Werke zu sichern. Dennoch ist die Entwicklung ein Alarmsignal, denn Werke im Ausland bedeuten für den heimischen Standort den Verlust von Arbeitsplätzen, von Wertschöpfung und schlussendlich auch von Wohlstand am Industriestandort Deutschland. Wenn die Politik diesen Trend weiter verkennt und nur halbherzige Maßnahmen ergreift, um Branchen wie die unsere am Standort zu halten, dann dürfte die Kautschukindustrie am Standort Deutschland binnen fünf Jahren an Bedeutung verlieren.

Quelle: ADK

Das Interview führte Simone Fischer, verantwortliche Redakteurin KGK

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30175 Hannover
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