Eine Laseranlage mit gelben Roboter-Arm fertigt einen schwarzen Reifenprototypen.

Berührungsloser Materialabtrag: Die Laseranlage fertigt Reifenprototypen innerhalb eines Tages. Die Kombination aus Sensorik und Lasertechnologie verkürzt die „Time to Market“ neuer Reifenmodelle deutlich. (Bild: Jenoptik)

Schwarzer KFZ-Reifen mit Jenoptik Laser-Beschriftung.
Kreative Profildesigns werden von der Laseranlage schnell umgesetzt. (Bild: Jenoptik)

Das Design eines Reifenprofils bestimmt die Eigenschaften des Reifens und des Fahrzeugs. Die Struktur der Reifenoberfläche soll maximale Haftung und geringen Roll-
widerstand gleichzeitig gewährleisten. Winterreifen sorgen für die Traktion auf Schnee und Eis, Sommerreifen erfordern ausgeklügelte Aquaplaning-Funktionen. Der Markt fragt jedoch nach Ganzjahresreifen. „Die Anforderungen an heutige Reifen sind enorm und scheinen sich auf den ersten Blick zu widersprechen“, sagt Markus Remm, Market Development Manager bei Jenoptik. „Wir wünschen uns, dass sie leise abrollen und kleine Unebenheiten unmerklich abfedern. Sie sollen natürlich auch Benzin oder Strom sparen und dabei auf jeden Fall robust und langlebig sein.“ Der Marktanteil neu verkaufter Ganzjahresreifen ist im Zeitraum von 2016 bis 2020 beispielsweise um mehr als 70 Prozent gestiegen. Parallel dazu wünschen sich die Fahrzeughersteller gemäß dem automobilen Trend immer häufiger individuelle Reifenvarianten für ihre jeweiligen Modelle. Das gestaltet die Entwicklung innovativer Profile zunehmend komplex. Die Spezialisierung der Reifen nimmt trotz der vielfältigen Anforderungen immer stärker zu – und stellt die Reifenhersteller vor eine Herausforderung. In der Prototypenfertigung schneiden Reifenschnitzer die frisch entwickelten Profilmuster in äußerst präziser Handarbeit in die Reifenrohlinge. Der Beruf des Reifenschnitzers ist jedoch keiner, der durch eine Lehre erlangt werden kann. Für den Quereinstieg sind Präzision und Talent gefragt. Diese Art der manuellen Prototypenfertigung dauert bei den modernen Profilanforderungen etwa vierzig Arbeitsstunden und ist damit weit von einem Rapid-Prototyping-Verfahren zur schnellen Herstellung eines Testmodells oder Produktmusters entfernt.

Zitat

Mit dem Laser können sehr feine Lamellen in der Gummi­lauffläche erzeugt werden.

Rapid Prototyping in der Reifenindustrie

ür die aufwendige Handarbeit der hochspezialisierten Schnitzexperten sprachen bislang mehrere Gründe. In der Serienproduktion werden Reifen in einer maschinell gefertigten Gussform „gebacken“. Für Prototypen und Produktmuster sind Gussformen meist deutlich zu teuer. Bereits existierende teilautomatisierte maschinelle Lösungen ersetzen die manuelle Tätigkeit, beschleunigen diesen Vorgang jedoch nur minimal. Die individuelle Programmierung und Vorbereitung für ein neues Profil bremsen die Produktion deutlich aus. Die Reifenrohlinge selbst werden aufgrund ihres Ausgangsmaterials nicht zu 100 % identisch gefertigt. „Gummi ist ein besonderer Werkstoff“, sagt Markus Remm. „Die Gummimischung ist neben Reifenprofil und Karkasse das wichtigste Unterscheidungsmerkmal der Reifenhersteller. Allerdings fällt jeder der gebackenen Reifenrohlinge durch die Materialeigenschaften des Gummis ein klein wenig anders aus.“ So können die Rohlinge beispielsweise einen Höhen- oder Seitenschlag aufweisen, der in der manuellen Bearbeitung durch die Reifenschnitzer ausgeglichen wird. „Nur wenige, echte Reifenflüsterer beherrschen das anspruchsvolle Handwerk und bringen die Geduld mit, komplexe Profildesigns zwar manuell, jedoch mit maschineller Präzision in einen Reifenrohling zu schnitzen. Die geringe Anzahl dieser Spezialisten und die wenigen eigenen Gussformen für Mustermodelle begrenzen die Geschwindigkeit und somit die Anzahl der Prototypen, die ein Hersteller anfertigen und testen kann“, berichtet Remm. Ein echtes Rapid Prototyping, das die Entwicklungsabteilungen der Reifenindustrie in ihrem Innovationsdruck tatsächlich unterstützt, erfordert effiziente Maschinen, intelligente sowie leicht bedienbare Software und neue technische Möglichkeiten der Reifenbemusterung selbst. Hierfür wurde durch die Business Unit Laserprocessing der Jenoptik-Division Advanced Photonic Solutions eine Lösung entwickelt. Die Jenscan-Tire-Technologie von Jenoptik befähigt Entwicklungsingenieure, Musterreifen mithilfe gepulster Laserbearbeitung deutlich schneller und mit weniger Aufwand als bisher zu produzieren. Die F&E-Anlage fertigt die Prototypen aus CAD-Daten, nahezu vollautomatisch und innerhalb von 24  Stunden. Somit können die Reifenentwickler ihre Ideen für ein neues Profildesign bereits am nächsten Tag in der praktischen Anwendung testen. „Die Rückmeldung des Markts ist überwältigend“, freut sich Olivier Ditrich, Key Account Manager beim exklusiven Vertriebspartner 4 Jet Technologies. Das liegt darin begründet, dass die Unternehmen von der Reproduzierbarkeit der Ergebnisse bei gleichzeitig schneller Bearbeitung der Prototypenreifen beeindruckt sind.

So wird die Zeit bis zur Markteinführung verkürzt

Mit der Jenscan-Tire hat das Unternehmen aus Jena industrielle Messtechnik und Laserbearbeitung für ein weiteres Anwendungsfeld kombiniert. Die integrierte Lösung aus optischer Sensorik und Lasertechnologie ist am Markt der Reifenhersteller einzigartig. Die F&E-Anlage vermisst den Reifenrohling und seine Umlauffläche exakt. „Während der Rotation matcht die Sensorik die CAD-Daten auf die reale Hüllkurve“, erläutert Markus Remm. „Das sorgt dafür, dass mögliche Abweichungen des Rohlings bestimmt und unmittelbar ausgeglichen werden. Zudem setzt der Laserscanner für die Bearbeitung aufgrund der Messtechnik verlässlich und präzise an der gewünschten Stelle an.“ Der Materialabtrag geschieht völlig berührungslos. Die intelligente Bahnplanung des Laserscanners und das lokale Absaugen des sublimierten Gummis minimieren den thermischen Einfluss auf das Material. Somit ist der Vorgang äußerst schonend für die verbleibende Gummimischung des Werkstücks. Straßen- und Abriebtests zeigen, dass laserbearbeitete Reifen und herkömmlich geschnitzte Prototypen im Bezug auf das Verhalten des Gummis vergleichbare Eigenschaften besitzen. Mit einer minimalen Strukturbreite von 0,2 mm ist die Laserbearbeitung der Reifen für filigrane Profile geeignet. Die Anlage erfüllt somit alle Ansprüche an feine Lamellen für Winterprofile. In der herkömmlichen Fertigung von Reifenprototypen stellen diese eine sehr große Herausforderung für die Reifenschnitzer dar.
Der offensichtliche Praxisvorteil dieser Technologie liegt in der Prozessgeschwindigkeit. „Statt nur einen Reifen-Prototypen pro Arbeitswoche herzustellen, kann eine einzige Lasermaschine in dieser Zeit mehr als ein halbes Dutzend Reifen fertigen“, ist von Markus Remm zu erfahren. „Der verantwortliche Ingenieur kann sich während der autonomen Bearbeitung bequem per Remote auf die Anlage schalten, um den laufenden Prozess zu beobachten und sich dann wieder parallel dem Design weiterer Profile widmen.“ Das verkürzt die Zeit bis zum vollständigen Fahrzeugreifensatz und verschafft einen schnellen Übergang in den Straßentest.

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So wird die Performance zukünftiger Reifenmodelle gesteigert

Neben der autonomen und schnellen Fertigung von Produktmustern und Testmodellen bietet das Laserbearbeiten der Reifenrohlinge einen weiteren entscheidenden Vorteil gegenüber der ma-nuellen Prototypenherstellung: Der berührungslose Abtrag der Gummimischung ermöglicht vollkommen neue Wege im Profildesign. Da keinerlei Kraft oder Druck auf den Rohling ausgeübt wird, kann die Oberflächenstrukturierung auf die Profilwände und die Grundfläche ausgeweitet werden. Dies unterstützt die Entwicklungsingenieure der Reifenhersteller in ihrer Herausforderung, den fortwährend zunehmenden Ansprüchen an die Eigenschaften und Variantenvielfalt der Reifen gerecht zu werden und die Performance der Reifen zu steigern. Mit der Lasertechnologie können kurzfristig Show- und Sonderreifen mit einem Schriftzug oder anderen Motiven auf der Lauffläche gefertigt werden. Limitiert ist das Verfahren derzeit noch bei Hinterschnitten.

Deshalb ist ein Präprozessor notwendig

De Konstruktionsdaten, mit denen Ingenieure die Reifenprofile entwickeln, sind nicht auf die dreidimensionale Laserbearbeitung ausgelegt. Zudem unterscheiden sich die Datenstruktur und die Dateiformate in dieser individuell anfertigenden Branche von Hersteller zu Hersteller. Der Hersteller hat die Datenaufbereitung und Konversion durch die Programmierung eines eigens entwickelten Präprozessors gelöst. Der Präprozessor nutzt die vom Hersteller im neutralen und im Rapid Prototyping übliche STL-Format zu Verfügung gestellten Daten. Das Team aus Jena hat dafür eine Datenformatspezifikation erstellt, die alle Notwendigkeiten zur Konversion beschreibt. Abschließend konvertiert die Jenscan-Tire-Software die Daten in ein Ablaufprogramm, welches in Kombination mit den auf­genommenen Vermessungsdaten die in­dividuell angepasste Reifenherstellung durch die Anlage steuert. Die neuartige Anlage für Laserabtrag in der Herstellung von Reifenproto­typen ist aus der Praxis heraus entstanden. Sie entstammt der direkten Zusammenarbeit mit einem namhaften Reifenhersteller und wird den konkreten Anforderungen der Branche somit unmittelbar gerecht. Die durch das Herstellen neuartiger Reifenprofile mit der Lasertechnologie werden die Entwicklungskosten von Reifenmodellen reduziert.

Quelle: Jenoptik Advanced Photonic Solutions, Jena  

Quelle: 4 Jet Technologies, Alsdorf  

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