Modellsicht auf den Mischprozess

Bild 1: Modellsicht auf den Mischprozess (Bild: Datenberg)

Häufig sind die Daten aus dem Mischsaal bereits in einzelnen Datensilos wie dem Leitsystem oder der Prüfergebnisverwaltung vorhanden. Diese Systeme werden jedoch in der Regel von einer Abteilung wie dem Qualitätsmanagement (QM) oder der Verfahrenstechnik betreut und sind nur teilweise miteinander verknüpft. Ein intelligentes Verknüpfen ermöglicht jedoch eine schnellere Analyse, mehr Erkenntnisse und bildet die Grundlage für ein automatisiertes Auswerten.

So werden Mischungen über Prozessketten hinweg rückverfolgbar

Der Mischsaal stellt einen Prozessschritt in der Wertschöpfungskette vom Wareneingang bis zum Fertigstellen der Endprodukte dar. Dabei erfährt die Kautschukmischung in den einzelnen Verarbeitungsschritten unterschiedliche Einflüsse von Prozessparametern und Umweltfaktoren. Wird bei einer Qualitätskontrolle ein Fehler festgestellt, stellt sich die Frage, welcher vorangegangene Parameter diesen Fehler verursacht hat. Um diese Frage zu beantworten, müssen die einzelnen Schritte miteinander verknüpft werden. In Bild  2 sind die einzelnen Schritte und insbesondere der Mischraum im Detail dargestellt. Es wird deutlich, dass bei den Verwiegungs- und Labordaten eine direkte 1:1-Beziehung zwischen Charge und Datenpunkt (zum Beispiel verwogener Ruß für Charge Nr. 24) besteht.
Die Mischerkurven stellen dagegen einen zeitlichen Verlauf dar. Eine direkte Korrelation zwischen Zeitverläufen mit Punktverläufen ist jedoch nicht sinnvoll. In der Software Smartplaza sind daher Berechnungsvorschriften hinterlegt, um aus Kurven direkt Punktverläufe zu generieren. So kann beispielsweise aus dem Temperaturverlauf der Energieeintrag in den einzelnen Mischschritten automatisiert berechnet werden. Durch diese Darstellung können Abweichungen leichter erkannt werden. Mit Hilfe weiterer Informationen wie einer Chargennummer kann so die Mischung mit allen Informationen über Prozessketten hinweg zurückverfolgt werden.
Die Prozesskette kann auch um nachgelagerte Schritte wie Extrusion oder Pressen erweitert werden. Dadurch geht zwar in der Regel die 1:1-Beziehung verloren, aber Abweichungen können dann auf Auftragsebene aggregiert nachvollzogen werden.

Bild 2: Darstellung der Prozesskette und Verknüpfung der einzelnen Datensilos im Mischsaal.
Bild 2: Darstellung der Prozesskette und Verknüpfung der einzelnen Datensilos im Mischsaal. (Bild: Datenberg)

Mehr über den Mischprozess lernen

Durch das Verknüpfen der einzelnen Prozessschritte können die Versuchsergebnisse schneller mit Mischerkurven oder Verwiegekurven verglichen werden. So kann der Effekt einer Rezepturanpassung leicht visualisiert und bewertet werden. Bild 3 zeigt die Anpassung einer Rezeptur. Dabei sind die einzelnen Versionen gruppiert dargestellt, jeder Messpunkt entspricht einem Batch der jeweiligen Rezepturversion. In blau sind die gemessenen T90-Werte aufgetragen, in Orange die Mischzeit. Eingeblendet sind ebenfalls der Mittelwert und die Standardabweichung je Version. Hier zeigt sich, dass die Rezepturanpassung eine Erhöhung des TC90 von knapp fünf Sekunden ausgelöst hat. Ebenfalls wurde die Mischzeit um circa 16 s verlängert. Die statistischen Kennzahlen werden unter dem Diagramm aufgeführt. Durch das einfache Darstellen mit schnellen Filtermöglichkeiten lassen sich schnell Hypothesen validieren, das Mischverhalten nachvollziehen und Verbesserungspotentiale erkennen. „Mein Lieblingszitat einer Entwicklerin war ‚We can reveal our biggest secrets with a few clicks‘, als wir gemeinsam die ersten Analysen durchgeführt haben“, so Maximilian Backenstos, Geschäftsführer Datenberg.

Screenshot zeigt die Auswirkungen von Rezepturänderungen in blauen und gelben Linien auf die Prüfergebnisse.
Bild 3: Der Screenshot zeigt die Auswirkungen von Rezepturänderungen auf die Prüfergebnisse. (Bild: Datenberg)

Automatisches Überwachen und ­Ursache-Wirkungs-Analysen

Ziel der Prozessdatenanalyse ist es, die Ursache für ein abweichendes Prüf­ergebnis zu ermitteln. Klassischerweise werden dazu das Prozessleitsystem, die Prüfergebnisverwaltung und die Aufzeichnungen der Betriebsdatenerfassung herangezogen. Die wertschöpfende Arbeit beginnt dort, wo alle Daten exportiert und vergleichbar gemacht wurden. Mit den richtigen Vorlagen kann dieser Prozess erheblich beschleunigt werden. Mit einem Klick werden alle relevanten Informationen aus den einzelnen Subsystemen zusammengeführt und dem Anwender präsentiert. Schwierig kann sich allerdings die Suche nach möglichen Abweichungen gestalten. Schließlich erfassen moderne Mischanlagen mehrere hundert Parameter pro Mischung. Die automatisierte Ursachenanalyse schafft hier Abhilfe. Statt jeden Parameter einzeln zu betrachten, helfen statistische Algorithmen bei der Fehlersuche. Sie identifizieren auffällige Parameter und weisen auf mögliche Fehlerursachen hin. Der Mensch als Experte kann so mögliche Ursachen schneller finden und mit seinem Expertenwissen validieren. Dadurch kann die eingesparte Zeit für Maßnahmen direkt zur Fehlerbehebung aufgewendet werden. Die Software Smartplaza verwendet dazu über hundert automatisierte statistische Analysen, um sowohl Veränderungen in den Messwerten als auch beschreibende Merkmale wie Schichtinformationen zu analysieren.
Bild 4 zeigt das Ergebnis einer automatisierten Ursachenanalyse. Hier wurde der Sprung im Messwert T90 aus Bild  3 weiter analysiert. In den ersten beiden Zeilen sind alle Effekte der Labordaten zusammengefasst. Zum einen die direkte Verschiebung des „Min“-Wertes sowie die Anpassung der Toleranzgrenzen. In der dritten Zeile befinden sich die einzelnen Rezepturanpassungen. Zusätzlich wird die mittlere Drehzahl im Mischzyklus als verändert erkannt. Mit diesen Informationen kann der Verfahrensingenieur oder Entwickler die Auswirkung der Rezepturanpassung auf den Mischprozess besser einschätzen und gegebenenfalls Verbesserungsmaßnahmen einleiten.

Zwei Software-Auswertungen mit blauen und orange farbenen Labordaten.
Bild 4: Automatisierte Ursachenfindung: Die Software zeigt auf, was nach einer Mischungsanpassung sowohl in den Labordaten als auch am Mischverhalten anders ist, sowie welche Rohstoffe von der Anpassung betroffen sind. (Bild: Datenberg)

So werden serienbegleitende ­Prüfungen mit KI reduziert

Im Mischsaal werden häufig serienbegleitende 100 %-Kontrollen des Mischprozesses durchgeführt. Dies bindet personelle Kapazitäten sowohl in der Linie als auch im Labor. Um diese Bindung aufzulösen, kann die Prüfintensität an die Prozessvarianz gekoppelt werden. Dazu werden zum einen feste Regeln definiert, wann immer geprüft werden soll. Zum Beispiel nach einem Mischerstopp oder einem Chargenwechsel des Polymers. Der zweite Baustein ist ein KI-basiertes Prognosemodell, das die rheologischen Eigenschaften einer Mischung unter anderem auf Basis von Wiegeergebnissen, Wareneingangskontrollen und Mischerkurven beschreibt. Dies ist in Bild 1 dargestellt. Für die Bestimmung der Funktion f(x) werden Regressionsmodelle verwendet, die die komplexen nicht-linearen Zusammenhänge im Mischsaal abbilden können. Nach dem Abwurf der Charge auf das Walzwerk liefert das Modell eine Abschätzung der rheologischen Eigenschaften und der Zuverlässigkeit der Vorhersage. Liegt die Abschätzung innerhalb der Spezifikationsgrenzen, ist die Modellsicherheit ausreichend hoch und werden keine definierten Regeln verletzt, wird die Prüfung eingespart, denn die Mischungsqualität ist gesichert. Trifft einer der Faktoren nicht zu, wird eine Prüfung angeordnet. Die hier gewonnenen Informationen nutzt das KI-Modell, um sich auf neue Bedingungen, wie beispielsweise eine neue Polymercharge, einzustellen.
Bei einer Implementierung im Mischsaal von Hexpol Compounding in Hückelhoven konnte bei einigen Mischungen ein durchschnittliches Einsparpotenzial von bis zu 68 % der serienbegleitenden Prüfungen erreicht werden [1]. Durch die Kombination von KI-Modellen mit nachvollziehbaren, fest definierten Regeln kann der Prüfumfang reduziert werden, ohne Abstriche in der Prozesssicherheit. Mittelfristig kann das Modell auch herangezogen werden, um den Mischprozess direkt zu optimieren oder auf aktuelle Gegebenheiten fein einzustellen.

Datentransparenz im Mischsaal


n Mischsälen sind durch starke Automatisierungsanstrengungen in den letzten Jahren bereits die Grundlage für das effektive Erfassen und Nutzen von Daten zur Prozessverbesserung vorhanden. Prozessingenieure als auch Entwickler können durch das Verbinden der einzelnen Prozessschritte das Mischverhalten besser verstehen und Optimierungspotenziale ableiten. Im Falle von Reklamationen kann die Prozessdatenanalyse deutlich beschleunigt werden, indem die Zeit für das Daten verknüpfen automatisiert wird. Durch die automatisierte Identifikation von möglichen Fehlerursachen, wird die Analyse ebenfalls beschleunigt. Ein komplett automatisiertes Bewerten des Mischprozesses inklusive Vorstufen, ermöglicht eine Prognose über die Mischungsqualität. So kann die Prüfintensität an die Prozessvarianz gekoppelt werden.

Literatur
[1] Using AI for Dynamic Reduction of Rheological Measurement Frequency, Backenstos
M. und Pankert D., 200th Technical Meeting
of the Rubber Division, ACS Pittsburgh, PA, ­October 5-7, 2021.

 

Quelle: Datenberg

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